Susanne Hartmann blickt durch ein ähnlich einer Brille aufgesetztes eckiges Vergrößerungsglas auf die winzigen Zahnräder auf dem Arbeitsplatz vor sich. „Würden die runterfallen, das wäre hier nicht so gut“, sagt sie lachend. Doch die Uhrmacherin zieht einen kleinen Kehrbesen aus einer Schublade hervor und winkt damit. „Wir finden alles wieder.“ Selbst wenn die mitunter winzigen Teile sogar mit einer Pinzette kaum zu greifen sind.
Auch ihre Chefin Sabrina Schmidt beugt sich über ein feines mechanisches Uhrwerk. „Zur Wartung“, sagt sie. Uhren liefen ja im Gegensatz zu Autos die meiste Zeit ohne Unterbrechung durch. „Da muss dann immer mal was getauscht werden“, erläutert sie. Chefin der S&S Uhrenmanufaktur in Bad Liebenstein ist sie offiziell seit 2016, doch schon 2012 bekam sie Prokura für das Familienunternehmen.
Lehrlinge für Uhrenmacher selten
Derzeit sind sie drei Frauen in der Firma. „Es wäre durchaus Arbeit für mehr da.“ Es seien auch schon mal mehr Mitarbeiter gewesen, doch man könne jungen Leuten nicht verübeln, wenn sie nach der Lehre auch etwas anderes sehen wollten als den Thüringer Wald. 2017 wurde ihr Auszubildender Thüringens bester Uhrmacherlehrling. Sie selbst habe ursprünglich gar einen medizinischen Beruf erlernen wollen, sich dann aber letztlich auch aus familiären Gründen für die Uhren entschieden.
Uhrmacher-Tradition der Westthüringer Region
Das Unternehmen lebt hauptsächlich von einem Kunden: Sinn Spezialuhren. Die Firma aus Frankfurt am Main lässt hier etwa 200 Uhren im Monat fertigen. Die Zusammenarbeit gebe es seit den 1990er Jahren. Die Frankfurter profitieren so letztlich von der Uhrmacher-Tradition der Westthüringer Region rund um Ruhla.
„Die hergestellten Modelle kosten im hohen dreistelligen oder vierstelligen Bereich“, sagt die Chefin. Zusammen mit Reparaturen für ebenjene Uhren mache das Geschäft mit Sinn etwa 90 Prozent des Umsatzes aus. „Laufkundschaft spielt nur eine kleine Rolle.“ Uhren und Schmuck werden für einheimische Kunden repariert, es wird auch mit Uhren gehandelt. Prompt kommt ein Kunde in das Geschäft und wünscht einen Batteriewechsel. „Wenn Leute hier etwas reparieren lassen, ist das auch oft Liebhaberei“, berichtet Sabrina Schmidt. Auch wenn die Reparatur mehr koste als eine Uhr noch wert sei, ließen es die Leute oft trotzdem machen – zum Beispiel, weil die Uhr schon so lange in der Familie ist.
Uhrenherstellung ist nicht alles, auch Reparaturen weiterhin oft nachgefragt
Neue und teure Uhren seien demgegenüber längst nicht immer mit bester Technik ausgestattet. „Es gibt Marken, bei denen ist der Name teuer. Und manchmal sind wir selber erschrocken, was darin verbaut ist.“ Wer sich eine gute Uhr zulegen wolle, solle lieber nicht nur auf den Markennamen schauen.
Doch früher oder später muss fast jede Uhr mal in die Reparatur – auch wenn es das Modell lange nicht mehr gibt. „Mein Vater hat zum Glück noch in den 90er Jahren viele Ersatzteile auf Vorrat gekauft.“ Davon profitiere man heute. „Denn tatsächlich gibt es nicht mehr alles für alle Uhren.“ Trotzdem werden bis heute neben der Uhren-Herstellung auch etwa 20 Uhren pro Woche repariert.
Nur von Standuhren lassen die Frauen derzeit die Finger. „Großuhren sind sehr zeitaufwändig“, sagt Schmidt. Da seien sie im Moment zu wenige. „Es ist ja ohnehin fast unmöglich, Leute zu finden.“ Viele wollten lieber nicht im ländlichen Raum arbeiten. Aber natürlich müsse es auch menschlich passen. Die meisten seien ruhige Charaktere, hätten Freude am Sortieren und dem genauen Arbeiten.
Wir Uhrmacher haben ja unsere Eigenheiten.
– Sabrina Schmidt, Inhaberin S&S Uhrenmanufaktur Bad Liebenstein
„Wahrscheinlich gelten Uhren wieder stärker als Wertanlage.“
Während der Corona-Pandemie sei die Nachfrage nach Uhren und Reparaturen gegen den Trend sogar angestiegen – abgesehen von einer kurzen Delle gleich zu Beginn während des ersten Lockdowns. Dann sei es bergauf gegangen. „Wahrscheinlich gelten Uhren wieder stärker als Wertanlage.“ Und die kann sehr nachhaltig sein. Mit dem richtigen mechanischen Uhrwerk braucht eine Armbanduhr keine Batterie. Die Bewegung der Hand des Menschen im Alltag reicht meist aus, um das Uhrwerk aufzuziehen. Dann wendet sich die Uhrmachermeisterin wieder ihrer Arbeit zu. 200 neue Uhren im Monat setzen sich schließlich nicht von allein zusammen.
Autor: Florian Girwert