Johann Wolfgang von Goethe, Lyonel Feininger und weitere große Geister liebten das Weimarer Land als Ort der Inspiration und der Erholung, als Raum zur Entfaltung. Und heute? Welche Rolle spielt der Standort mit seiner Landschaft und den vielfältigen Traditionen für die hier ansässigen Kreativen, Macher und Visionäre? Drei Menschen erzählen von drei Perspektiven.
Modeschöpferin Katrin Sergejew: „Leidenschaft fürs Design und fürs Herstellen nicht aussterben lassen“
Jedes Teil ist ein Unikat, jede Kollektion eine eigene Geschichte: Mit ihrem Label Kaseee und der dazugehörigen Manufaktur in Apolda knüpft die Modedesignerin Katrin Sergejew an die große Tradition der Textilherstellung im Weimarer Land an. Apolda war vor allem für seine hochwertigen Strick- und Wirkwaren bekannt, die in die ganze Welt exportiert wurden. Zwar ist die industrielle Textilproduktion nach der Wende weitgehend aus der Region verschwunden – nicht jedoch die Begeisterung für die Mode. Durch Veranstaltungen und Wettbewerbe rings um die Bekleidungskultur präsentiert sich das Weimarer Land, insbesondere Apolda, heute als quicklebendiger, nationaler Hotspot kreativer Modemacher. Herausragende Beispiele sind die jährliche Modenacht in Apolda, die sowohl einheimische Textilunternehmen als auch junge Designer ins Rampenlicht rückt, sowie der renommierte Nachwuchspreis Apolda European Design Award, der als Sprungbrett gilt.
Katrin Sergejew ist eine der bekanntesten Protagonisten der Modeszene im Weimarer Land. Jedes Jahr präsentiert die Designerin eine neue Kollektion. Alleinstellungsmerkmal ihres Labels ist die enge Verbindung zur Kunst. Jede Kollektion ist Resultat eines intensiven künstlerischen Prozesses. „lch entwerfe Bilder und schreibe Texte zu aktuellen Themen, die mich bewegen. Auf diesen Geschichten basieren dann die Kollektionen“, sagt Katrin Sergejew. So findet sich zum Beispiel eine Aquarellzeichnung der Künstlerin zum Thema Midsommer in Finnland in einer Kollektion als Stoffmuster wieder. Markenzeichen von Kaseee ist die Asymmetrie. „Schräge Schnitte umspielen jeden Körper unglaublich gut und bieten Spielraum, das Kleidungsstück zu verwandeln.“
lch tue viel, um die Leidenschaft fürs Design und fürs Herstellen nicht aussterben zu lassen.
– Katrin Sergejew, Gründerin der Modemarke „Kaseee“
Kaseee produziert alle Teile vor Ort in Apolda. Es gibt keine Massenproduktion. Das gibt Kunden die Möglichkeit, ihre Bekleidung individuell anpassen zu lassen, Stoff, Schnitt und Druck auszuwählen. So können auch alte Schnitte und Lieblingsmodelle wieder neu aufgelegt werden. Der Vertrieb läuft über einen eigenen Onlineshop sowie Ladengeschäfte in Jena, Weimar und Dessau. Für die monatlichen Modebrunchs, eine Art Tag der offenen Tür in der Werkstatt in Apolda, reisen lnteressierte sogar aus Hamburg, Frankfurt oder Berlin an. „Die Leute nach Apolda zu locken, ist mir eine Herzensangelegenheit, ebenso, sie zu sensibilisieren, wo die Mode herkommt und wie sie hergestellt wird.“ Dazu veranstaltet sie Events und Workshops. Dabei geht es auch um Nachwuchsarbeit. Im Rahmen des Designawards und des Apoldaer Strick- und Textilworkshops begleitet sie Design-Studenten, welche bei Kaseee ihre eigene Mode fertigen und anschließend auf dem Laufsteg präsentieren können.
Aber warum Apolda? Gegründet hat Katrin Sergejew im Jahr 2007 in Kahla, ist mit ihrer Werkstatt aber bald nach Apolda gewechselt. Ausschlaggebend war für die Unternehmerin die bestehende Infrastruktur im Bereich Mode und damit verbunden die vielfältigen Möglichkeiten, sich mit Partnern zu vernetzen. Auch die Lage, nahe Weimar, Jena und Erfurt sowie mit guter Anbindung an Leipzig und Berlin, spielte eine Rolle, ebenso die im Vergleich zu Großstädten günstigeren Mieten. Als Kreative schätzt sie auch die vielfaltigen, schnell erreichbaren Rückzugsorte im Weimarer Land, als Einwohnerin die Vielfalt der Region sowie die Mentalität der Bewohner, die sie als besonders freundlich erlebt.
Landschaftsarchitekt Michael Dane: „lch lebe am Ort meiner Inspiration“
Der Landschaftsarchitekt und Stadtplaner Michael Dane ist seit mehr als dreißig Jahren im Weimarer Land zuhause. Mit seinen zehn bis 15 Mitarbeitern plant der gebürtige Brite, der vier Sprachen spricht und an seinem Wohnort eine Gärtnerei betreibt, von Weimar aus Freianlagen in der ganzen Welt. Besondere Expertise besitzt das Büro in der Gestaltung von Hotels und touristischen Clubanlagen, insbesondere im Mittelmeerraum und in den Tropen. Mit den „Offenen Gärten“ hat der Gestalter eine ldee aus England nach Thüringen gebracht. Mittlerweile öffnen dafür jährlich landesweit hunderte Gartenbesitzer ihre privaten ldyllen für interessierte Besucher.
Was er am Weimarer Land schätzt? „Dass so wenige Leute hier sind. lch brauche meine Ruhe – und Raum, mich zurückzuziehen. Mein berufliches Leben ist aufregend genug.“ Darum wohnt Michael Dane in Tiefengruben, einem Rundlingsdorf im Vorland des Thüringer Waldes mit 250 Einwohnern. „Das ist die eine Sache. Aber ich bin auch Ökologe und Geobotaniker – und ich liebe diese endlose floristische Vielfalt, die Thüringen zu bieten hat.“ Auch der topografische Facettenreichtum begeistert ihn.
Es ist traumhaft schön hier, weil noch alles erhalten ist! lch lebe am Ort meiner Inspiration!
– Michael Dane, Landschaftsarchitekt und Stadtplaner
Als Unternehmer schätzt er den Raum zur Entfaltung, den ihm das Weimarer Land bietet, als Landschaftsarchitekt und Engländer den Reichtum an englischen Landschaftsparks in der Region. Und noch etwas inspiriert ihn: die Authentizitat der ländlichen Strukturen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. „Im Westen gab es zu viel Geld und zu viele ehrgeizige Planer, die alles dem Erdboden gleich machten.“ Das sei in der DDR finanziell schlicht nicht möglich gewesen. So sei auch im Weimarer Land durch fehlende Mittel vieles erhalten geblieben. Bestes Beispiel ist seine Wahlheimat Tiefengruben, seit 1976 Flächendenkmal und bekannt durch seine reiche historische Bausubstanz aus verschiedenen Epochen.
Mit den Projekten seines Büros gestaltet Michael Dane das Gesicht der Region mit. Zu den Vorhaben, die ihm besonders am Herzen liegen, gehört die Erweiterung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek sowie die Neugestaltung des Beethovenplatzes in Weimar. Zwei anspruchsvolle Projekte in gestalterisch sensiblem Kontext am Rande des UNESCO-Weltkulturerbes llmpark. Die Herausforderung war, historische Freiräume und zeitgenössische Nutzungsansprüche zu vereinen. „lch denke, das ist uns gut gelungen“, sagt Michael Dane.
Bekannt ist der Landschaftsarchitekt in der Region vor allem als der Kopf hinter den ,,Offenen Gärten“. Was in Großbritannien ein etabliertes Format mit jahrzehntelanger Tradition ist, feierte 2001 mit gerade einmal 14 Gärten auch in Thüringen Premiere. Die ldee fiel auf fruchtbaren Boden. Mittlerweile sind bei „Open Gardens – Offene Gärten“ etwa 300 private Grünanlagen in 22 Städten und Gemeinden zu erleben.
Koordiniert wird das Projekt von Danes Büro neben den laufenden Projekten. Aber warum? „lch bin ein großer Kämpfer gegen die Internationalisierung von Gärten. Die Leute haben wenig Zeit, kaufen sich aus Märkten Pflanzen, die ganz Deutschland dann einheitlich im Garten stehen hat. Doch eigentlich muss man die Individualität an den Standorten erhalten – und solche Individualität gibt es noch in den Privatgärten.“
Thomas Wichtmann, Werkleiter bei Viega: „Beim Dorffest tritt die Betriebsfußballmannschaft zum Turnier an.“
Es scheint: Wer einmal kommt, der bleibt auch gern im Weimarer Land. Aber gilt das auch für große Unternehmen? Ein interessantes Beispiel ist Viega. Der Globalplayer ist mittlerweile fest mit der Region verwurzelt – und dass, obwohl sich der Stammsitz des traditionsreichen Familienunternehmens im Sauerland befindet. Viega zählt zu den Weltmarkt- und Technologieführern in der lnstallationsbranche für Sanitär und Heizung. Während hochwertige Rohrleitungen und Verbinder das Kerngeschäft ausmachen, liegt der Fokus zunehmend auf intelligenten und vernetzten Lösungen für Trinkwasserhygiene, Energieeffizienz, Komfort und Sicherheit im Gebäude. An vier deutschen Standorten entwickelt und produziert das Unternehmen für den weltweiten Markt. In den USA, Indien und China für die lokalen Bedarfe. Der größte Produktionsstandort des Unternehmens befindet sich jedoch im Weimarer Land, genauer: in Großheringen bei Bad Sulza. Mit fast 1.000 Mitarbeitern ist Viega einer der größten Arbeitgeber im Landkreis und gehört mit aktuell 70 Azubis ebenfalls zu den größten Lehrbetrieben.
Die Geschichte von Viega in Großheringen beginnt mit der Übernahme eines hier befindlichen Betriebsteils des damaligen Weimarwerkes. Das war im Jahr 1991. Seitdem wächst der Standort rasant. „Damals wie heute ist die Verfügbarkeit von Fachkräften ein wesentlicher Standortvorteil. Auch wenn wir uns in Zeiten des Fachkräftemangels anders aufstellen müssen“, erklärt Thomas Wichtmann, seit 2021 Werkleiter der Niederlassung. „Es gibt eine lange Tradition der Metallverarbeitung im Weimarer Land, von der Viega profitiert.“ Mittlerweile sei Viega selbst Teil dieser Tradition.
Von einigen Mitarbeitern waren schon Eltern und Großeltern bei Viega in Großheringen tätig.
– Thomas Wichtmann, Viega-Werkleiter in Großheringen
Ein weiterer wichtiger Faktor sei die innovationsfreundliche, unterstützende Wirtschaftspolitik – auf kommunaler Ebene ebenso wie auf Landesebene. „Politik und Behörden zeigen sich an einer lösungsorientierten Zusammenarbeit sehr interessiert“, erklärt der Werkleiter. Auch die vorhandene Infrastruktur, insbesondere die direkte Anbindung des Werks an das Bahnnetz, sei ein großer Vorteil gegenüber anderen Standorten. Beliebte Wohnorte wie Apolda und Naumburg sind mit der Bahn nur etwa zehn Minuten von Großheringen entfernt. Erfurt nur 40 Minuten. Urban leben und ländlich arbeiten: Das ist dadurch auch ohne Auto möglich. „Gerade für die jungen Menschen, die heute nicht mehr alle einen Führerschein haben, ist das ein wichtiges Argument“, findet Thomas Wichtmann.
Viega und Großheringen, das Unternehmen und die Gemeinde: Beides ist längst eng verwachsen – vor allem auf der sozialen Ebene. Viega hat am Standort Großheringen mehr Beschäftigte als die Gemeinde Einwohner. Viele Großheringer arbeiten bei Viega. Beim Dorffest tritt die Viega Betriebsfußballmannschaft zum Turnier an. So verschwimmen die Grenzen zwischen Unternehmen und Standort, Mitarbeitern und Einheimischen. Wie wichtig der Standort Großheringen dem Unternehmen ist, zeigen die Pläne für die nahe Zukunft: Mehr als 150 Millionen Euro wird Viega bis 2030 in Großheringen investieren. Es geht um Wachstum und Erneuerung: neue, energieeffizientere Maschinen, intelligente Lagertechnik, zusätzliche Arbeitsplätze. Außerdem sollen alle nutzbaren Dachflächen mit Photovoltaikanlagen ausgestattet werden. „Die lnvestition ist ein starkes Zeichen – unser Bekenntnis zu Großheringen und zum Weimarer Land“, sagt Thomas Wichtmann.
Text: Landratsamt Weimarer Land