Fazit der IHK-Sommertour: gleichermaßen beeindruckend wie bedrückend
Bemerkenswert und Respekt zollend waren die Einblicke in unsere großartigen regionalen Unternehmen. So viele interessante Produkte und Leistungen werden in unserer Region geschaffen, so viele Hidden Champions, so viel Wertschöpfung, so viele Innovationen. Doch mit am beeindruckendsten ist, wie es Unternehmer immer wieder schaffen, sich schnell auf Krisen und Widrigkeiten einzustellen und diesen mit neuen Lösungen und viel Durchhaltevermögen resilient zu begegnen.
Einige Unternehmen mussten sich in der Corona-Krise neu erfinden. Nun stecken sie direkt in der darauffolgenden Krise, geprägt von hohen Preisen, gebrochenen Lieferketten und absehbaren Einschränkungen der Energieversorgung. Diese aktuellen Sorgen und Herausforderungen fordern die Unternehmen mehr als die Corona-Krise. Und im Vergleich zur Pandemie ist auch kein Ende abzusehen, vielmehr befinden wir uns in einer Zeitenwende, die uns noch viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte beschäftigen wird.
Es gab in allen Gesprächen fast nur zwei Themen: Energieversorgung und Fachkräftemangel
Über viele wichtige und interessante Dinge hätten wir mit den Unternehmen reden können. Doch zumeist gab es aktuell nur zwei Themen, die sie beschäftigen: Wie finde ich Personal? Und wie halte ich mit reduzierter Energie meinen Betrieb aufrecht und sichere damit meine auch international schwer erkämpfte Marktstellung? Dabei schienen die gestiegenen Preise weniger problematisch zu sein. Sie werden ohnehin weitergeben. Viel wichtiger ist es, immer lieferfähig zu sein, um seine Kunden und Geschäftspartner nicht zu verlieren.
Fachkräftemangel versus oder pro Kulturwandel?
Die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll. In vielen Schubladen stecken die Pläne für Innovationen, Erweiterungen und einen Ausbau des Betriebes. Doch wie soll das mit der aktuellen Personaldecke und den nicht zu findenden neuen Fachkräften umgesetzt werden? Auch Azubis sind kaum noch zu finden.
Der Fachkräftemangel ist viel schlimmer, als Sie sich das überhaupt vorstellen können.
– Jens Klausen, Werkleiter Molkereikonzern Deutsches Milchkontor (DMK), Erfurt
Viele Betriebe beschäftigen bereits ausländische Fachkräfte. Bis zu 21 Nationen vereinen sich in manchen Unternehmen. Betriebe zeigten uns, dass Integration möglich ist, aber auch welchen Aufwand sie dafür betreiben und welche Unternehmenskultur es dafür braucht.
Neben dem fehlenden Personal berichteten uns viele Unternehmer von einem Kulturwandel, dem sich einige Unternehmen bereits gestellt haben. So ermöglichen Arbeitgeber flexible Arbeitszeiten, Vier-Tage-Woche, Raum und Instrumente für eine Wohlfühlatmosphäre im Unternehmen, kreieren Aktionen, die Mitarbeiter zusammenbringen und den Teamgeist fördern sowie die Verbundenheit zum Unternehmen stärken.
Personalrecruiting ist eine täglich Daueraufgabe und erfolgt mit irren und kostspieligen Aufwendungen, meist nur noch über das Abwerben von Mitarbeitern anderer Unternehmen. Azubis der MCI Miritz Citrus GmbH & Co. KG aus Kirchgandern erhalten mit Ausbildungsvertrag einen Mini, auch zu privaten Verwendung sowie monatlich einen Tankgutschein im Wert von 100 Euro. Das funktioniert sehr gut. Denn wie sollen Azubis in ländlichen Regionen, in denen es keinerlei ÖPNV gibt, auch zum Unternehmen kommen? Einige benachbarte Unternehmen sehen solche Dinge mit Argwohn und fragen sich, was sie dem entgegensetzen können.
Sichtbar war, dass modern agierende Unternehmer erfolgreich sind. Sie arbeiten mit ihren Mitarbeitern wertschätzend und auf Augenhöhe zusammen, übertragen den Mitarbeitern Selbstständigkeit und Verantwortung, investieren in sie. Gut gelaunt und mehr als nahbar führte uns Dr. Heiner Marx, Vorstand der K-UTEC AG aus Sondershausen, der ehemaligen Kaliforschung, an der Seite seines ebenso fröhlichen Hundes durch die Labore und Werkhallen.
Freundschaftlich klopfte er einem südamerikanischen Kollegen auf die Schulter, scherzte mit ihm mit ein paar Brocken in dessen Landessprache. Auf der Treppe ein Ägypter, dem mit einem freudigen arabischen Gruß begegnet wurde. Überall ein nettes Wort, der Chef kennt alle Mitarbeiter persönlich, kennt die Familien, interessiert sich. Der älteste Mitarbeiter ist 85 Jahre, unglaublich fit, wertgeschätzt und hochmotiviert. Wir haben gefragt, wie die ausländischen Fachkräfte rekrutiert werden: Sie bewerben sich von allein. Das Unternehmen hat einen renommierten Ruf und die Mitarbeiter werben für ihr Unternehmen.
Neue Unternehmenskulturen und -strategien zahlen sich also aus. Augenscheinlich war, dass damit weniger Probleme bestehen, Fachkräfte zu finden. Und deutlich wurde auch, dass solche Unternehmen meist die produktivsten und innovativsten Unternehmen mit einer guten Geschäftslage waren. Es geht somit um das „Invest in Mitarbeiter“. Was sind mir meine Mitarbeiter wert? Den meisten Unternehmern ist klar, dass ihre Mitarbeiter ihr wichtigstes Kapital sind. Doch nicht immer ist damit das Wissen verbunden, um Mitarbeiter zu finden, in neue Welten zu führen, zu motivieren und zu halten.
Herausfordernd ist jedoch auch die Erkenntnis, dass Mitarbeiter zunehmend mehr Work-Life-Balance fordern und nicht hierarchisch geführt werden möchten, sich in ihrer Lebensplanung wie in ihrem Arbeiten frei fühlen wollen, aber scheinbar weniger motiviert sind, Verantwortung zu übernehmen und sich weiterzuentwickeln. Dadurch wird das Führen von Menschen immer anspruchsvoller, was neue Kräfte und Kompetenzen von Führungspersonen erfordert.
Doch neben der täglichen Aufgabe, Personal zu finden und richtig zu führen, beschäftigen sich die Unternehmen aktuell damit, ihre Produktion bei eventuellen Energieengpässen aufrecht zu erhalten und in dem Produktions- und Bürogebäude angemessene Temperaturen für ihre Mitarbeiter vorzuhalten.
Produktion bei Energieengpass aufrechterhalten und ausreichend warme Arbeitsumgebung sichern
Es gibt erste Unternehmen, die bereits von ihrem Energieversorger darauf hingewiesen wurden, dass sie nicht systemrelevant sind und sich somit schnellstmöglich auf eine Drosselung der Fernwärme einstellen müssen. Mitarbeiter der Energieanbieter haben mit dem Unternehmen bereits beraten, wie die Frostfreihaltung der Gebäudeinstallation gewährleistet werden kann. Geplant ist die Anschaffung warmer Arbeitskleidung sowie das Aufstellen von Heizöfen auf Ölbasis.
Andere Unternehmen rüsten mit riesigen Investitionssummen und Aufwendungen ganze Anlagen auf alternative Energien wie Solar, Diesel oder Öl um. Auch Blockheizkraftwerke kommen zur Anwendung. Gut aufgestellt sind die Unternehmen, die bereits vor dieser Krise umgerüstet hatten oder im frühen Stadium der anbahnenden Krise mutig entschieden haben, Geld zu investieren und die entsprechenden Anlagen oder Umrüstungen zu kaufen. Verständlich ist aber auch das Zögern und Abwarten vieler Unternehmen. Schließlich geht es um viel Geld und einen hohen Aufwand und um einen Blick in die Glaskugel.
Größtes Problem und Hemmnis für die Unternehmer ist die Nichtplanbarkeit. Keiner weiß, was wirklich passiert und das Vertrauen in die Politik ist sehr gering.
– Dieter Bauhaus, Präsident der IHK Erfurt
Auch das war eine Erkenntnis der Tour. Insbesondere Unternehmen im internationalen Wettbewerb sind getrieben zu agieren. Schließlich ist ihnen bewusst, dass internationale Wettbewerber in anderen Ländern sich in keiner so kritischen Versorgungssituation befinden wie Deutschland. Zögern die Unternehmen, sind dann, wenn sie reagieren, keine warmen Arbeitssachen und keine Bauteile zum Umrüsten mehr lieferbar. Gehen sie voran, ist damit ein ebenso hohes Risiko verbunden. Im Fazit rüstet ein Teil der Unternehmen bereits um und ein anderer Teil stellt sich darauf ein, dass die Produktion dann stillsteht.
Und als ob es die Unternehmen speziell in Deutschland nicht schwer genug haben, so werden sie von unzähligen Regularien und Bürokratien schwer belastet oder in ihren Umgestaltungs- und Weiterentwicklungsabsichten behindert. Einige Unternehmen kapitulieren, ziehen sich von hiesigen Standorten zurück oder beabsichtigen in Deutschland keinerlei Erweiterungen mehr. Eines von vielen Beispielen sind die langen Genehmigungsprozesse bei der Umstellung bzw. Installation von Solaranlagen.
Dieter Ortmann, Geschäftsführer der maxx-solar & energie GmbH & Co. KG aus Waltershausen berichtete uns:
Energie haben wir genug. Und die Bereitschaft von Unternehmen und Investoren auf alternative Energieformen wie Solar umzustellen ist sehr hoch. Nun müssen jedoch dringend und zeitnah verkrustete, bürokratische und baurechtliche Hürden beseitigt werden. Während die Installation einer Solaranlage maximal vier Wochen dauert, beträgt die Bearbeitungszeit aller auferlegten Regularien für eine Anlage bis zu 1,5 Jahre.
– Dieter Ortmann, Geschäftsführer maxx-solar & energie GmbH & Co. KG, Waltershausen
Unternehmen vermissen Gestaltungswille der Politik
Bei vielen Gesprächen und Themen wurde deutlich, dass Unternehmen eine nachvollziehbare Strategie auf Landes- wie Bundesebene vermissen, an der sie mit Vertrauen in die Politik ihre Entscheidungen und Entwicklungen ausrichten können. Politik ist oft einzig nur bei weiteren Belastungen und bürokratischen Auflagen bzw. neuen Gesetzen spürbar, bei denen es besser gewesen wäre, die Praxis zu kennen und Unternehmen mit einzubeziehen.
Insbesondere Unternehmen mit Standbeinen und damit Erfahrungen in anderen Bundesländern berichten uns, wie wirtschaftsfeindlich Thüringer Betrieben begegnet wird. Während Ämter anderer Bundesländer sich ihren Unternehmen gegenüber wertschätzend verhalten, werden in Thüringen meist keine Lösungen für Anliegen und Probleme gesucht, sondern Paragrafen zitiert. Ermessungsspielräume scheinen unbekannt oder nicht gewollt.
Erschrocken waren wir darüber, dass ein Unternehmer, der jährlich 600 Tausend Euro Gewerbesteuer am hiesigen Standort zahlt, bei seinem Anliegen nicht einmal einen Termin beim örtlichen Bürgermeister erhält. Besonders bitter ist der Blick aus dessen Fenster. Gegenüber sitzt ein großes Unternehmen, das die Steuern in annehmbar gleicher Größe nicht in Thüringen abführt. Den Weg dorthin finden Politiker jedoch.
An vielen Stellen wird klar: Unternehmer kämpfen sich durch, bauen ohne Breitbandanschluss im digitalen Zeitalter Betriebe auf, warten sechs Jahre auf eine Hausnummer, ziehen an einen anderen Standort, weil sie keinen Stromanschluss bekommen oder weil schlicht weg keine Gewerbeflächen erschlossen werden.
Ansiedlung war ebenso ein Thema der Reise. Immer wieder wurden wir gefragt: „Warum werden in Thüringen keine interessanten Ansiedlungen wie Tesla oder Intel gewonnen?“ Die Aufträge der Unternehmen, wie zum Beispiel Bauunternehmen, werden in anderen Bundesländern umgesetzt. Keine Ausschreibungen in Thüringen in Sicht, während in benachbarten Ländern etwas passiert. Gibt es ein Plan für Thüringen – eine Vision? Eine Frage, die auch wir nicht beantworten konnten.
Ohnmacht und keine Unterstützung war Stimmung und Tenor der Kommunalpolitiker
Auch die Bürgermeister und Landräte waren in großer Sorge, was auf ihre Bewohner im Winter zukommt. Viele Dinge werden in Krisenstäben hierzu diskutiert und beschlossen. Auch Schüler müssen sich darauf einstellen, im Winter 2022 einen warmen Pullover und dicke Socken zu tragen. Turnhallen sollen als Wärmehallen bereitgestellt werden. Doch in den meisten Hallen sind ukrainische Flüchtlinge untergebracht. Und hier liegt das aktuell größte Problem der Kommunen.
Landräte und Bürgermeister sind mit den ukrainischen Flüchtlingen überfordert und fühlen sich von Land und Bund allein gelassen. Während es uns als Vertreter der Wirtschaft hauptsächlich um die schnelle Integration von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt ging, haben uns die Kommunen abwinkend verdeutlicht, dass sie vorgelagert zunächst grundsätzlich andere Probleme haben. Es gibt keine Kapazitäten mehr, Flüchtlinge aufzunehmen. Erste Flüchtlinge sind in Zelten untergebracht. Vor der Beschäftigung von Ukrainern braucht es zunächst betreute Kinder und Sprachkurse. Die Kinderbetreuung ist häufig nicht mehr verfügbar. Sprachkurse starten zu spät und dauern zu lange, weil sie zum Beispiel nur durch zertifizierte BAMF-Lehrer abgesichert werden dürfen. Gesetze und Sozialsystem fördern, dass die berufliche Integration bei den Ukrainern nicht unbedingt im Vordergrund steht.
Forderung der Bürgermeister und Landräte war es also, die Kommunen bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zu unterstützen. Andreas Bausewein, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, weist darauf hin, dass Thüringen die wenigste finanzielle Unterstützung für die Integration von Ausländern zur Verfügung steht. Aber neben den Finanzen braucht es Gesetze und Regularien, die es ermöglichen, dass Flüchtlinge Zugang zum Arbeitsmarkt finden und motiviert sind, auch mit einer Aufgabe und eigenem Verdienst Teil unseres Gesellschaftssystems zu sein.
IHK engagiert: aus Stimmen werden Positionen
Viele politische Themen wurden auf der Sommertour diskutiert. Themen, für die wir uns als IHK Erfurt stark machen werden, die wir einfließen lassen in Stellungnahmen und Forderungen gegenüber der Politik auf Landes- wie Bundesebene.
Daneben haben wir von den Unternehmen viele Hausaufgaben übertragen bekommen. Aus den Gesprächen ergaben sich verschiedene nachgelagerte Informations- oder Beratungsbedarfe oder gemeinsame Projektideen. Es gibt also viel zu tun, um unsere Wirtschaft zu unterstützen und wir können dazu beitragen. Das Ziel unserer Reise ist somit erreicht. Wir danken herzlich für die interessanten Einblicke und den offenen Austausch mit den Unternehmen und den Kommunalpolitkern!
Möchten auch Sie Teil der nächsten IHK-Sommertour werden?
Wenn auch Sie im Rahmen der nächsten Tour vom Präsidenten der IHK und der Hauptgeschäftsführerin besucht werden möchten, dann melden Sie sich gern bei uns. Ihre Ansprechpartnerin, Annette Pohl: pohl@erfurt.ihk.de! Ungeachtet der jährlichen Sommertour können Sie jederzeit den Wunsch äußern, von der IHK Erfurt besucht zu werden. Melden Sie sich hier: Austausch mit Branchen- oder Fachexperten – IHK Erfurt