„Vereinbarkeit darf kein Lippenbekenntnis sein“

©DIHK/Kirsten Frohnert, Projektleiterin „Erfolgsfaktor Familie“
Kirsten Frohnert, Projektleiterin „Erfolgsfaktor Familie“
Warum sollte ich diesen Artikel lesen?
  • Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie spielt auch in der deutschen Wirtschaft eine große Rolle.
  • Familienfreundlichkeit im Unternehmen steigert das Fachkräftepotenzial und fördert das Wachstum.
  • Erfahren Sie, wie das Netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ Unternehmen auf dem Weg zu mehr Familienfreundlichkeit unterstützt.

Kirsten Frohnert ist Projektleiterin des Netzwerkbüros „Erfolgsfaktor Familie“, welches unter anderem das Tool Fortschrittsindex anbietet, und verrät im Interview, warum sich das Netzwerk für bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie einsetzt.

Frau Frohnert, das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ setzt sich für mehr Familienfreundlichkeit in der deutschen Wirtschaft ein. Warum? 

Frohnert: Die Arbeitswelt verändert sich. Der demografische Wandel und der zunehmende Fachkräftemangel stellen Unternehmen vor große Herausforderungen. Familienbewusste Angebote und die flexible Gestaltung von Arbeitsabläufen sind zentrale Stellschrauben, um neue Mitarbeitende zu gewinnen und langfristig zu binden. Studien zeigen: Je besser es Beschäftigten gelingt, Familie und Beruf zu vereinbaren, desto mehr Fachkräftepotenzial steht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.  

Um welches Potenzial geht es?

Frohnert: Mehr als jede vierte erwerbstätige Person in Deutschland kümmert sich um minderjährige Kinder und/oder pflegebedürftige Angehörige. Für diese Gruppe ist betriebliche Familienfreundlichkeit ein Muss, um überhaupt einer Beschäftigung nachgehen zu können. Vor allem Frauen übernehmen oft die Sorgearbeit und passen ihre Erwerbstätigkeit an. Dabei würden viele gerne früher aus der Babypause zurückkehren oder ihr Arbeitspensum aufstocken. Nehmen wir zum Beispiel die 2,5 Millionen Mütter, die derzeit weniger als 28 Stunden pro Woche arbeiten. Würden sie ihre Erwerbstätigkeit durch gute Vereinbarkeit nur um jeweils eine Stunde pro Woche erhöhen, entspräche das dem Äquivalent von 71.000 neu geschaffenen Vollzeitstellen.

Vereinbarkeit ist aber kein reines Frauenthema…

Frohnert: Nein. Das Rollenklischee vom Vater, der das Geld verdient, und der Mutter, die das Kind versorgt, ist längst überholt. Die neue Generation von Vätern möchte mehr Zeit mit den Kindern verbringen, sich partnerschaftlich an der Erziehung beteiligen und dafür die Arbeitszeit reduzieren. Wie wichtig ihnen dieses Anliegen ist, zeigt die Tatsache, dass 450.000 Väter in Deutschland schon einmal den Arbeitgeber zugunsten einer besseren Vereinbarkeit gewechselt haben. Unternehmen tun also gut daran, auch den Vätern individuelle Angebote zu unterbreiten.

Mit welchen Angeboten können Arbeitgeber punkten?

Frohnert: Die Prognos-Studie „Familienfreundliche Arbeitgeber: Die Attraktivitätsstudie“ hat gezeigt, dass sich Mütter, Väter und Pflegende vor allem zeitliche Flexibilität für geplante Auszeiten, kurzfristige Arbeitsunterbrechungen oder Notfälle wünschen. Sehr wichtig war den Befragten auch, dass sich aus ihren Familienaufgaben keine Nachteile für die Karriere ergeben. Grundsätzlich gilt, dass Arbeitgeber prüfen sollten, für welche Angebote es in ihrem Unternehmen konkreten Bedarf gibt und was der Betrieb überhaupt leisten kann und will. Oftmals sind kreative, individuelle Lösungen die erfolgreichsten. 

Aber selbst das beste Angebot nutzt nichts, wenn es die Vorgesetzten und Kollegen nicht mittragen…

Frohnert: Völlig richtig. Vereinbarkeit darf kein Lippenbekenntnis sein. Sie muss Teil einer gelebten und klar kommunizierten Unternehmenskultur sein, die die individuellen Bedürfnisse von Mitarbeitenden mit Familienverantwortung und betriebliche Interessen ausbalanciert. Eine solche Kultur zu schaffen, ist ein Veränderungsprozess, bei dem alle mit ins Boot geholt werden müssen. Führungskräften kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Sie unterstützen und ermutigen ihre Mitarbeitenden, familienbewusste Angebote zu nutzen, gehen mit gutem Beispiel voran und steigern so die Akzeptanz.

Wer hilft Unternehmen bei der Planung und Umsetzung?

Frohnert: Beim Thema betriebliche Kinderbetreuung sind die lokalen Jugendämter oder Lokale Bündnisse für Familie erste Ansprechpartner. Auch in unserem Netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“, dem inzwischen mehr als 8.900 Unternehmen angehören, entwickeln und teilen wir Wissen, wie die Vereinbarkeit im Arbeitsalltag praktisch funktionieren kann. Die Mitgliedschaft ist kostenfrei.

Weiterführende Informationen zum Netzwerk „Erfolgsfaktor Familie“:

Interview: Sylvia Rollmann

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