Mehr als nur unterwegs: Wie Thüringen Mobilität neu denkt 

© IHK Erfurt | Unternehmerin Janett Scholl
© IHK Erfurt | Frau tankt an moderner Tankstelle in Thüringen
Warum sollte ich diesen Artikel lesen?
  • Aktuelle Einblicke in eine Mobilitätsentwicklung im ländlichen Raum Thüringens mit Fokus auf Erreichbarkeit und Versorgung 
  • Lokale Beispiele: Mobilität, Handel und Infrastruktur 
  • Analyse moderner Konzepte wie 24/7-Märkte und multifunktionale Tankstellen als Teil regionaler Daseinsvorsorge 

Ob in Erfurt oder auf dem Land: Mobilität heißt oftmals mehr als nur Auto fahren. In Thüringen zeigt sich, wie Handel, Alltag und Verkehr zusammenwachsen – mit neuen Ideen, kurzen Wegen und frischen Konzepten wie 24/7-Märkten oder Tankstellen, die mehr können als nur Sprit verkaufen. Eine echte Mobilitätswende beginnt genau hier: vor Ort, im Leben der Menschen. 

„Die Verkehrswende ist nur noch eine Frage des Wie.“ Der Satz klingt wie ein sanfter, zukunftsgerichteter Paukenschlag, den Ramona Allerdings in die Welt setzt. Trotzdem fehle zugleich die Antwort auf die Frage nach der Planung, der Konzeption, den großen und übergeordneten Entwicklungen. Seit Frühling 2025 ist Ramona Allerdings für Raumordnung, Bau und Verkehr bei der IHK Erfurt tätig. Zuvor war sie unter anderem an der Bauhaus-Universität in Weimar tätig, war dort Wissenschaftliche Mitarbeiterin und beschäftigte sich mit Stadtplanung und alltäglicher Mobilität. Sie bringt wissenschaftliche Perspektiven gezielt in wirtschaftliche Kontexte ein und ist sich sicher: „Wir stehen in Deutschland mitten in einer Transformation!“ 

Ländliche Mobilität neu denken 

Genau diese Transformation sei eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit, sagt die IHK-Referentin und betont, dass Mobilität schon immer vielfältig gewesen sei. „Wenn wir von Mobilität sprechen, dann denken wir zuerst an Verkehr durch Autos, Nahverkehr oder vielleicht auch Fahrräder. Dennoch bedeutet mobil zu sein im Alltag viel mehr. Es heißt auch, dass Angebote geschaffen werden, die Mobilität im ländlichen Raum ermöglicht“, erklärt Allerdings. In Anbetracht des demografischen Wandels und des überall spürbaren Fachkräftemangels könne es ganz entscheidend sein, ob ein Ausbildungsbetrieb oder Arbeitsplatz gut erreichbar ist – auch ohne eigenes Auto. 

Angebote wie Gesundheitskioske, örtliche Lebensmittelläden oder die Möglichkeit des Austauschs in Orten, Dörfern und Regionen könnten einen Anteil zu mehr Mobilität und Lebensqualität leisten, erklärt Ramona Allerdings. 

Neben dem Ziel der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und einer Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben sei auch der Umgang mit dem Klimawandel ein Grund zum Handeln. 

Derzeit entstünden rund ein Fünftel der CO2-Ausstöße in Deutschland im Verkehrssektor. „Es muss und kann uns gelingen, mehr Mobilität mit weniger Verkehrsaufkommen zu erreichen“, sagt Ramona Allerdings und verweist dabei vor allem auf den Unterschied zwischen Stadt und Land. Während in den Thüringer Großstädten oft kurze Wege ausreichen, um ein breites Angebot an Freizeit- oder Einkaufsmöglichkeiten wahrzunehmen, sehe das auf dem Land in der Regel ganz anders aus. „Hier kann der nächste Supermarkt schon einmal 20 Kilometer entfernt sein“, sagt die Verkehrsreferentin.

24/7 einkaufen als Antwort auf neue Bedürfnisse 

Was heißt Mobilität?

Mobilität bedeutet, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen – zur Arbeit, zum Einkaufen oder in der Freizeit. Sie umfasst mehr als nur Verkehr: Auch Erreichbarkeit, Infrastruktur und individuelle Lebensumstände spielen eine Rolle. Gerade im ländlichen Raum entscheidet Mobilität oft darüber, ob Menschen Zugang zu Bildung, Arbeit oder medizinischer Versorgung haben. Verkehr ist dabei nur das sichtbare Ergebnis – Mobilität beginnt viel früher: bei der Frage, wie Orte, Angebote und Wege überhaupt erschlossen sind.

Von Erfurt nach Mühlhausen: Dort betreibt Janett Scholl eine Tankstelle direkt an der vielbefahrenen Bundesstraße 247. Täglich passieren über 10.000 Fahrzeuge den Standort – viele davon halten an, und das längst nicht nur zum Tanken.
Neben Benzin und Diesel lockt vor allem der rund um die Uhr geöffnete Rewe to Go zahlreiche Kundinnen und Kunden an.
„Gerade am Wochenende schauen viele noch schnell vorbei, um ein paar Dinge für Zuhause einzukaufen“, berichtet Scholl, während sie durch den Verkaufsraum geht.
Im Sortiment finden sich neben Snacks wie Chips und Sandwiches auch Alltagsprodukte wie Zahnpasta, Toastbrot und Scheibenkäse.

Seit elf Jahren ist Janett Scholl im Tankstellengeschäft aktiv. Neben dem Standort in Mühlhausen, betreibt sie auch Tankstellen in Bad Langensalza und am Autohof Bad Hersfeld. „Die Klientel ist an allen Standorten etwas anders, was sie aber alle gemeinsam haben, ist eine Veränderung im Mobilitäts- und Einkaufsverhalten“, sagt Scholl. Habe bei Tankstellen vor zehn Jahren noch vorrangig die Versorgung mit Kraftstoff und vielleicht noch mit Zigaretten im Fokus gestanden, würde inzwischen das Einzelhandelskonzept immer stärker angenommen.

Porträt einer Unternehmerin an einer Tankstelle in Thüringen

„Das hat vor allem mit dem Generationswechsel und den veränderten Ansprüchen der Kundschaft zu tun. Die Leute erwarten inzwischen, auch am Sonntag Schlagsahne kaufen zu können, wenn sie die brauchen“

Janett Scholl

Doch die 37-jährige Unternehmerin hat diesen Zeitgeist nicht nur für ihre Tankstellen erkannt. Auch die Schollimärkte bieten im Unstrut-Hainich-Kreis und dem Landkreis Gotha eine 24-Stunden-Einkaufsmöglichkeit. Die Idee sei aus der Not geboren worden, erläutert Janett Scholl. Die Kette Emma’s Tag & Nacht Markt hatte die Märkte mit Unterstützung des Freistaats Thüringen gebaut und eingerichtet, war aber schon wenig später in die Insolvenz gerutscht. „Auf einmal standen die Märkte leer und Gemeinde- und Stadträte suchten nach einer Lösung für die Zukunft“, erinnert Scholl sich. Mit dem Tankstellengeschäft habe sie die notwendige Erfahrung für den 24-Stunden-Betrieb im Handel mitgebracht und es sei schnell zu guten gemeinsamen Strategien für die Märkte gekommen.  

Mit Karte rein, mit Zukunft raus 

Inzwischen gehören vier Schollimärkte zu Janett Scholl und ihren rund 50 Mitarbeitenden. Das Konzept ist simpel und doch effektiv: Die Tür öffnet sich nach dem Eingeben von EC- oder Kreditkarte, eingekauft wird selbstständig, bezahlt wird an einer Self-Checkout-Kasse. „Wir decken mit den Schollimärkten nicht nur Einkaufsmöglichkeiten rund um die Uhr ab, sondern können auch frisches Obst und Gemüse, vegane und vegetarische Produkte und sogar Alkohol – natürlich mit Altersfreigabe – anbieten. Das ist für die Menschen auf den Dörfern ein echter Vorteil“, sagt Janett Scholl. Und der Erfolg scheint ihr Recht zu geben. Seit November 2024 ist etwa der Schollimarkt in Burgtonna eröffnet, hier kaufen nicht nur die Bewohnerinnen und Bewohner des 710-Seelen-Ortes ein, sondern auch der örtliche Kindergarten ist Stammkunde. „Die Angebote unserer Märkte sorgen für eine bessere Versorgung der Orte, besonders dann, wenn der nächste größere Supermarkt zwei oder drei Dörfer entfernt ist“, sagt Scholl, die fest an das Konzept des Einkaufens ohne Personal glaubt.  

Zukunft der Bewegung: flexibel, lokal, elektrisch 

Solche Einrichtungen seien ein fester Bestandteil vieler moderner Mobilitätskonzepte, sagt auch Ramona Allerdings: „Im ländlichen Raum ändert sich viel und wenn wir über Zukunft und Entwicklungen für das Land sprechen, dann werden kleine und individuelle Einkaufsmöglichkeiten einen immer stärkeren Platz einnehmen.“ Dass diese sich bisweilen auch mit Tankstellen paaren und in der Zukunft im Wesentlichen Strom für die E-Mobilität verkaufen werden, das ist für Ramona Allerdings und Janett Scholl eine gute Ergänzung. Denn auch Janett Scholl blickt natürlich auf die Verkehrswende und beantwortet die Frage nach dem Wie auf ihre ganz eigene Weise: „Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass es auch für uns als Tankstelle weitergehen wird. Geht es immer, auch wenn wir dann eben Strom statt Benzin verkaufen.“ 

Text: Paul-Philipp Braun 

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Tel: 0361-3484210

E-Mail: peggy-lindner@erfurt.ihk.de

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