Auch im Internet-Zeitalter sind Wochenmärkte aus dem deutschen Stadtbilde nicht wegzudenken. Doch es werden weniger. Vor allem im ländlichen Raum geht das Angebot zurück. Dafür, dass es auch in Zukunft noch Wochenmärkte gibt, tragen nicht nur die Händler Verantwortung.
Dem Mann mit der Gulaschkanone hat Kerstin Heydick schon ganz früh am Morgen den Tag gerettet. Um 4:00 Uhr war er, Holger Erles, aufgestanden. Seit 6:30 Uhr steht er in der Innenstadt von Sömmerda auf dem Wochenmarkt – um kurz nach seiner Ankunft zu bemerken, dass er die Plastikschalen vergessen hat, in denen er Erbsensuppe mit Wurst, Kesselgulasch oder Soljanka verkauft. Also war es an Heydick, am Morgen auf den Marktstand von Erles aufzupassen, während der in der kleinen Stadt nördlich von Erfurt auf die Suche nach Schalen gegangen war. Schließlich erfolgreich, weshalb sich Erles kurz vor dem Mittag nicht über einen Mangel an Kunden beklagen kann, die er mit seinem Essen ziemlich glücklich macht. Für Heydick, die Marktmeisterin des Wochenmarkts in Sömmerda, war diese Form der Hilfe eine Selbstverständlichkeit. Erles ist dankbar dafür. „Es geht doch nur miteinander“, sagt er.
Voller Marktplatz, leere Innenstadt
Auf diesem Wochenmarkt direkt vor dem Rathaus der Stadt stehen regelmäßig etwa 25 bis 30 Händler, immer donnerstags und freitags. Es gibt Gemüse und Wurst, Gardinen, Nachtbekleidung für Damen, Herren und Kinder, Schmuck und vieles mehr. Während in vielen der umliegenden Straßen ziemliche Leere herrscht, wie in so vielen Städten und Dörfern vor allem im ländlichen Raum an Werktagen, ist es hier erstaunlich voll. Insbesondere Männer und Frauen im Rentenalter drängen sich zwischen den Marktständen. Dazwischen sind immer wieder aber auch Frauen mit kleinen Kindern und kurz nach dem Mittag auch Kinder und Jugendliche, die offensichtlich gerade von der Schule kommen. Auch eine Kindergartengruppe schlendert kurz vor dem Mittag über den Markt.
Selbstverständlich ist es nicht mehr, dass es auf Wochenmärkten so lebhaft zugeht wie hier. Die Handelsplätze – und das sind Märkte schon seit Jahrhunderten – stehen vor vielfältigen Herausforderungen. So würden es seit Jahren immer weniger Händler, die ihre Produkte dort anbieten, sagt Katrin Schiel, die als Prokuristin der Dresdner Niederlassung der Deutschen Marktgilde arbeitet. Die Marktgilde organisiert vielerorts Wochenmärkte. Im Verantwortungsbereich von Schiel sind es 35 Märkte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Weniger Händler, überall
Dieser Trend zu immer weniger Händlern sei ein Teufelskreislauf, sagt Schiel. Weniger Händler würden auch weniger Kunden auf einen Wochenmarkt locken, was diesen dann als Ort des Geschäftemachens für noch weniger Händler attraktiv erscheinen lasse, wodurch ihre Zahl noch weiter sinke, was dann zu noch weniger Kunden führe… „Das merken wir in den kleineren Städten zuerst“, sagt Schiel. Selbst in Großstädten wie Dresden sei die Zahl der Händler aber inzwischen rückläufig.
Umso wichtiger sei es für die einzelnen Wochenmärkte, die Händler zu hegen und zu pflegen, die dort bei Wind und Wetter stehen, sagt Schiel. Das ist eine Philosophie, die Heydick, lebt. Nicht nur, wenn es um Schalen für Erbsensuppe, Kesselgulasch oder Soljanka geht. Ein Ausweis dafür ist, dass sie keinen Meter über den Wochenmarkt in Sömmerda gehen kann, ohne dass sie von einem Händler oder einem Marktbesucher angesprochen wird. Wenn sie Zeit hat, plaudert sie ein wenig. Wenn sie es eilig hat, winkt sie freundlich.
Wochenmarkt hat soziale Funktion
Überhaupt sind derartige Plauder- und Winkereien – etwas abstrakter formuliert: die Kommunikation – etwas, das Schiel, Heydick, viele der Händler in Sömmerda und auch Marktkenner an anderen Orten ganz sicher macht, dass Wochenmärkte eine Zukunft haben werden. Auch wenn die Zahl der Händler rückläufig ist und auch Wochenmärkte in Konkurrenz „zum großen A“, so Schiel, stehen. Damit meint sie den Internet-Giganten Amazon, der das Einzelhandelsgeschäft überall in Deutschland, Europa und den anderen Ländern des globalen Westens grundlegend verändert hat.
Wenn wir die Händler weiter haben wollen, müssen wir sie unterstützen.
– Katrin Schiel, Prokuristin der Dresdner Niederlassung der Deutschen Marktgilde
Das kann durch freundliche Worte und Verständnis für Händlerfahrzeuge in verkehrsberuhigten Innenstadtbereichen ebenso sein wie – natürlich – durch diesen und jenen Einkauf auf einem Markt.
„Märkte“, sagt zum Beispiel auch Sven Kaestner, „sind Orte, wo man nicht nur einkaufen kann, sondern wo man miteinander ist“. Er ist Leiter der Abteilung Märkte und Stadtfeste der Stadtverwaltung Erfurt und damit seit Jahren schon verantwortlich für einige der größten derartigen Zusammenkünfte im gesamten Freistaat. „Diese soziale Funktion von Wochenmärkten werden leider noch immer sehr häufig unterschätzt“, sagt Kaestner.
Auf dem Wochenmarkt in Sömmerda lässt sich am Stand von Petra Hocke beobachten, wie diese soziale Funktion im Alltag daherkommt. Seit 34 Jahren kommt die Frau hierher, um zum Beispiel Kleidung zu verkaufen. Ehe eine Frau mittleren Alters ihren vor einer Woche erworbenen Schlafanzug bei ihr gegen ein Nachthemd tauscht – „Der ist doch ein bisschen eng, aber das Nachthemd hat so schön gepasst“ – unterhält sich die Kundin minutenlang mit Hocke, lässt Revue passieren, wie viel sie bei ihr in den vergangenen Jahren schon gekauft hat. Die Kundin vor ihr hat das schon so ähnlich gemacht. Die Kundin davor auch. „Heute bin ich nur am Schwatzen“, sagt Hocke.
Neue Akzente auf dem Wochenmarkt
Für diejenigen, die diese kommunikative Funktion von Märken – Wochenmärkten, aber auch Spezialitätenmärkten, Ostermärkten, Weihnachtsmärkten oder Märkten, die während verschiedener Volksfeste stattfinden – besonders betonen, ist ganz klar, was in den nächsten Jahren ganz entscheidend sein wird, damit Wochenmärkte und damit auch die dort beheimateten Händler eine möglichst gute Zukunft haben. Die Menschen müssen noch mehr Zeit dort verbringen und verbringen wollen, indem Wochenmärkte noch mehr zu Orten von Erlebnissen werden. „Man muss in Zukunft auf dem Wochenmarkt sicher noch mal ein paar mehr Akzente setzten“, so formuliert das Kaestner. Ein Marktcafé etablieren, wo Menschen während ihres Bummels zwischen den Ständen sitzen können, die Märkte musikalisch rahmen, einen Erdbeer- oder Spargeltag auf einem Wochenmarkt einführen… Kaestner kann sich da viel vorstellen.
Schiel auch. „Es geht darum, dass Abwechslung geschaffen wird“, sagt sie. Dabei trifft es sich gut, dass viele Wochenmärkte so wie der Wochenmarkt in Sömmerda in Innenstädten stattfinden und auch viele Citymanager seit Jahren betonen, wenn Innenstädte und der sogenannte stationäre Einzelhandel erfolgreich mit dem Internethandel konkurrieren wolle, sei es wichtig, dass sich Innenstädte zu Orten von Einkaufserlebnissen entwickelten – mit besonderer Betonung auf dem Wortteil „erlebnis“.
Allerdings verweist Schiel auch darauf, dass es noch etwas gibt, was über die Zukunft von Wochenmärkten bestimmen wird. Die Haltung der Verantwortlichen in den Kommunen. Und auch die Haltung der Kunden. Jeder, sagt Schiel, müsse sich selbst fragen, wie wichtig ihm das bunte und wimmelige Markttreiben sei – und dann eben auch auf einem Markt statt im Internet einkaufen, wenn er dieses Markttreiben auch in den nächsten Jahren wolle. Damit eben kein Teufelskreislauf in Gang kommt.
Zielgruppen und Angebot
Nach Einschätzung vieler Markthändler des Wochenmarkts in der Innenstadt von Sömmerda, aber auch etwa der Prokuristin der Dresdner Niederlassung der Deutschen Marktgilde, Katrin Schiel, ist ein wesentlicher Teil der Kunden auf Wochenmärkten heute teilweise noch immer der gleiche wie vor einigen Jahrzehnten. Vor allem Männer und Frauen der Generation 60plus seien insbesondere an Werktagen dort anzutreffen, sagen sie alle. Andererseits aber hätten in den vergangenen Jahren vor allem an Wochenenden inzwischen auch Familien mit Kindern oder Menschen, die besonders auf Regionalität und Frische von Lebensmitteln achten, diese Handelsplätze für sich entdeckt.
Im Lebensmittelbereich, sagen sie alle, würden für die Wochenmärkte derartige Produkte in den nächsten Jahren weiterhin zum Kernangebot gehören: Gemüse, Obst und Fleischprodukte, die im Umfeld eines bestimmten Wochenmarktes erzeugt worden seien und deshalb eine gute Klimabilanz haben.
Autor: Sebastian Haak