Strategischer Energieeinkauf im Unternehmen: Aus der Krise lernen!

©gettyimages.com/Andriy Onufriyenko
Energie
Warum sollte ich diesen Artikel lesen?
  • Die explodierenden Strom- und Gaspreise führten 2022 zu einer einschneidenden Energiekrise.
  • Weite Teile der deutschen Wirtschaft fanden sich schlagartig in einer existenzbedrohenden Situation.
  • Um die Handlungsoptionen für das eigene Unternehmen abzuwägen ist es wichtig zu wissen, wie der Energiehandel und die Entstehung des Energiepreises funktionieren.

Seit Oktober 2021 bewegen sich die Preise für Energie ungeordnet auf und ab in Höhen, die selbst Experten und Analysten in kühnsten Prognosen nicht erahnen konnten. Gas- und Strompreise explodierten förmlich. Weite Teile der deutschen Wirtschaft fanden sich schlagartig in einer existenzbedrohenden Situation. Das deutlich gestiegene Marktpreisniveau und die extreme Volatilität der Marktpreise führen für Kunden und Lieferanten zu erheblichen Belastungen und Risiken.

Zahlreiche Lieferanten haben nicht nur für Neukunden Vertriebsaktivitäten weitgehend eingestellt. Preise für Dienstleistungen und Produkte sind nicht mehr kalkulierbar.

Das komplette Marktgefüge ist gestört. Während bislang der Markt von Verbrauchern bestimmt wurde, ist es jetzt ein reiner Erzeugermarkt.

Unternehmen müssen das bisherige Vorgehen bei ihrer Energiebeschaffung grundlegend hinterfragen und sich auf geänderte Vertragsbedingungen einstellen.

– Karsten Kurth, Energie- und Umweltexperte der IHK Erfurt

Wie funktioniert der Energiehandel?

Vorab ein paar Worte zur Funktion des Energiehandels am Beispiel des Strommarktes. Der Strommarkt in Deutschland besteht aus drei Säulen: dem Großhandel (Energy-Only-Markt) – hier wird allein die Energie gehandelt; dem Markt für Systemdienstleistungen und Regelenergie und dem Markt für Netzreserven zur Stabilisierung der (Übertragungs-)Netze.

Im Folgenden geht es vorwiegend um Strombeschaffung und damit um die erste Säule. In Deutschland gibt es zwei Handelsplätze für die Strombeschaffung. Zum einen den Handel außerhalb der Energiebörsen, den man als OTC-Handel (Over the counter-Handel) bezeichnet und zum anderen den Handel an der Energiebörse EEX (European Energy Exchange).

  1. Der OTC-Handel ist ein freier Handel direkt zwischen Marktteilnehmern und macht rund 80 Prozent des Handelsvolumens aus.
  2. Der Handel an der Energiebörse EEX (European Energy Exchange) folgt dem Börsengesetz mit seinen spezifischen Regeln und teilt sich in einen Terminmarkt (langfristige Kontrakte) und einen Spot-Markt (kurzfristige Kontrakte). Während am Terminmarkt hauptsächlich finanzielle Kontrakte gehandelt werden, bezieht sich der Spot-Markt auf die physische Lieferung von Energie.

Wie entsteht der Energiepreis?

Der gehandelte Energiepreis folgt der sogenannten „Merit-Order“. Diese legt in der Energiewirtschaft die Einsatzreihenfolge der stromproduzierenden Kraftwerke auf einem Stromhandelsplatz fest.

Ziel ist es, eine wirtschaftlich optimale Stromversorgung zu gewährleisten. Entscheidend sind dabei die niedrigsten Grenzkosten, also die Kosten, die bei einem Kraftwerk für die produzierte Megawattstunde anfallen.

Wichtig zu wissen ist: Die „Merit-Order“ ist unabhängig von den Fixkosten einer Stromerzeugungstechnologie. Kraftwerke, die fortlaufend sehr preisgünstig Strom produzieren, werden als erstes zur Einspeisung zugeschaltet. Danach werden so lange Kraftwerke mit höheren Grenzkosten hinzugenommen, bis die Nachfrage gedeckt ist. Das letzte zugeschaltete Kraftwerk bestimmt den Preis. Dieses Prinzip wird nicht nur an Energiemärken angewandt, sondern ist bei Rohstoffmärkten ein übliches Verfahren.

In Deutschland sind es überwiegend Gaskraftwerke, die insbesondere bei einem hohen Strombedarf den Preis bestimmen. Ein Umstand, der im letzten Jahr die Wirkung der hohen und schwankenden Gaspreise auf den Strommarkt übertrug und letztendlich zur sogenannten Energiekrise führte.

Die Energieversorgung wird in der Wahrnehmung von Unternehmen damit immer stärker ein Risiko für die eigene wirtschaftliche Entwicklung.

– Karsten Kurth, Energie- und Umweltexperte der IHK Erfurt

Welche Handlungsoptionen gibt es für mich als Unternehmen?

Die erste hilfreiche Reaktion ist es, wo immer es geht, Energie einzusparen! Für viele Unternehmen ist Energieeffizienz nicht erst seit der Krise ein wichtiges Thema und gerade bei energieintensiven Unternehmen ein etablierter, kontinuierlicher Prozess.

In einem zweiten Schritt ist es ratsam, zu überlegen, inwieweit Energie selbst erzeugt werden kann. Dies ist langfristig konsequent und ein wichtiger Teil für eine nachhaltige Energiebeschaffungsstrategie. Jedoch verfügen nur wenige Unternehmen über die materiellen wie immateriellen Mittel und auch Ressourcen, um sich komplett autarke mit Energie versorgen zu können. Zudem ist es oft weder ökonomisch noch – mit Sicht auf die Versorgungssicherheit – sinnvoll.

Erfolgversprechender ist es, das bisherige Vorgehen bei der Energiebeschaffung und Nutzung zu hinterfragen und die eigene Strategie zu erweitern. Eine solche Energiebeschaffungsstrategie ist sehr unternehmensspezifisch und hängt von regionalen Gegebenheiten, dem Energieverbrauch, der aktuellen Vertragssituation und auch Fähigkeiten und Interessen der verantwortlichen Mitarbeiter sowie der Risikobereitschaft der Geschäftsleitung ab.

Deshalb sollten Sie sich zu Beginn dieses Prozesses folgende Fragen stellen:

  • Passt die bisherige Beschaffungsstrategie noch zur aktuellen Marktlage und zu den Rahmenbedingungen meines Unternehmens?
  • Wie sind die operativen Zuständigkeiten im Unternehmen geregelt?
  • Müssen zusätzliche Personen in die Entscheidungsprozesse eingebunden werden?
  • Welche Risiken entstehen für das Unternehmen?
  • Gibt es im Unternehmen ein energetisches Messkonzept oder Managementsystem?
  • Wie erfolgt die Marktbeobachtung und die Festlegung von Beschaffungszeitpunkten?

Wie erarbeite ich eine Energie-Beschaffungsstrategie?

Beschaffung ist eine strategisch orientierte Aufgabe für Unternehmen. Das ist bei Energie nicht anders als bei anderen Rohstoffen oder der Akquise von Fachkräften.

Maßnahmen, die beim Aufbau einer standardisierten Beschaffungsstrategie unterstützen:

  1. Kommunikationsstruktur aufstellen:
    Erarbeiten Sie ein Beschaffungshandbuch, in dem Sie Unternehmens- und Beschaffungsziele und Wünsche formulieren. Definieren Sie klare Zuständigkeiten, Bereiche und Entscheidungskompetenzen. Es empfiehlt sich, Handlungs- und Entscheidungsgrundlagen sowie Hintergründe zusätzlich zu dokumentieren.
  2. Schnittstellen zu weiteren Managementsystemen aufbauen:
    Haben Sie in Ihrem Unternehmen bereits ein Energie-, Umwelt- oder Qualitätsmanagementsystem implementiert, lassen sich Daten und Analysen aus diesen Systemen nutzen. Ansonsten müssen sie notwendige Systeme erst aufbauen und Daten erheben.
  3. Energieverbrauchsstruktur erheben und dokumentieren:
    Die Grundlage aller strategischer Überlegungen beim Energieeinkauf sind wichtige Kenngrößen zum Energieverbrauch. Dazu gehören u.a. Lastgänge, Verbrauchsgruppen, Verbrauchsdaten sowie wichtige Steuer- und Regelparameter für Prozesse, Anlagen, Arbeitsmodelle und Schichttaktungen.
  4. Risikomanagement aufbauen oder den Bereich Energie dort integrieren:
    Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, wie wichtig die Energieversorgung für die Wirtschaft ist und welches Risiko allein bei steigenden Preisen für viele Unternehmen besteht. Frühzeitig mögliche Krisensituationen zu erkennen und darauf reagieren zu können ist ein klarer Wettbewerbsvorteil. Es ist daher sehr sinnvoll, Risiken im Vorfeld zu bewerten und resultierende Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Für Unternehmen, die ihre Beschaffungsstrategie auf Börsenprodukte ausrichten, ist dies unerlässlich.
  5. Informationsmanagement aufbauen:
    Je komplexer die Beschaffungsstrategie, um so mehr Information benötigen Sie für den Erfolg – dies betrifft nicht nur Ihre Energieverbrauchsstruktur oder Ihre Prozessparameter! Der Energiepreis an den Börsen wird von zahlreichen Einflussgrößen bestimmt: Gesetzesinitiativen und politische Entscheidungen genauso, wie Naturkatastrophen oder Bewegungen an Rohstoffmärkten sowie Konjunkturdaten. Informationen über Preisentwicklungen und aktuelle Nachrichten helfen Ihnen den richtigen Zeitpunkt für einen Vertragsabschluss zu bestimmen. Dokumentieren Sie in jedem Fall die Quellen Ihrer Informationen!

Wie beschaffe ich die für mein Unternehmen benötigte Energie?

Es existieren drei grundlegende Modelle für die Beschaffung von Energie, die je nach Strategie kombiniert werden können:

  • Strategische Optionen: Stichtagsbeschaffung!
    Das wohl am weitesten verbreitete Modell ist die Stichtagsbeschaffung. Dabei vereinbaren die Vertragspartner einen festen Energiepreis für einen bestimmten Lieferzeitraum auf Basis der aktuellen Terminmarktpreise. Gewöhnlich haben diese Verträge eine Laufzeit von einem bis drei Jahre, die Preise in den einzelnen Jahren können dabei variieren. Der große Vorteil ist die langfristige Absicherung und eine hohe Planungssicherheit. Schwankungen an den Energiemärkten werden jedoch nicht abgebildet und es besteht keine Flexibilität, sollten sich Rahmenbedingungen ändern.
  • Strategische Optionen: Portfoliobeschaffung!
    Dieses Modell beschreibt oft kurzfristige Beschaffung von standardisierten Produkten am Großhandelsmarkt (Energiebörsen). Eine solche Strategie erfordert Expertise und weitere Strukturen im Unternehmen. Vieles lässt sich über Dienstleister extern abwickeln, aber es ist wichtig, die Gesamtkontrolle über die Energiebeschaffung in der eigenen oder Unternehmenshand zu behalten. Vorteil ist die hohe Flexibilität und zu jeder Zeit ein marktnaher Energiepreis. Zur Risikoabsicherung ist es empfehlenswert, Produkte zu mischen. Zudem erhöht dies – je nach Produkt – die kalkulatorische Planungssicherheit. So lässt sich beispielsweise die Grundlast mit einem günstigeren Terminmarktkontrakt langfristig abdecken und lediglich die verbleibende Last (Residuallast) wird am Spotmarkt eingekauft.
  • Strategische Optionen: Tranchenmodell!
    Ziel dieses Modells ist die Reduktion bzw. Streuung des Preisrisikos. Teilmengen beispielsweise eines Terminmarktproduktes werden zu mehreren Zeitpunkten (Tranchen) gekauft. Es gilt immer der aktuelle Preis des Kaufdatums für die jeweilige Tranche. Die einzelnen Mengen sollten sinnvoll kombiniert sein, bzw. bezogen auf einen bestimmten Prozess bei horizontalen Tranchen oder auf Jahresabschnitten bei vertikalen Tranchen.

IHK-Informationsnetzwerke und Veranstaltungen nutzen

Aufgrund der Komplexität des Energiemarktes, der Entstehung des Energiepreises und den möglichen Beschaffungsoptionen ist es für Sie als Unternehmen ratsam, mit einem Energieberater ins Gespräch zu kommen. Erste Informationen erhalten Sie auch in den vielfältigen Informations- und Beratungsangeboten sowie den Veranstaltungen der IHK Erfurt.

Informieren Sie sich über die Angebote auf der Homepage der IHK Erfurt unter: www.ihk.de/erfurt/energie!

Veranstaltungen in der Übersicht (Auszug):       

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IHK-Experten:
Karsten Kurth

Karsten Kurth

Tel: 0361-3484310

E-Mail: karsten.kurth@erfurt.ihk.de

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