Wegen der Energiekrise stellen viele Unternehmen ihre eigene Versorgung mit Gas und Strom jetzt wirklich um. Oder ergänzen ihre bisherigen Versorgungswege. Nachdem sie jahrelang über solche Schritte nur nachgedacht haben. Ein Beispiel aus Mittelthüringen:
Ohne Kessel geht praktisch gar nichts bei Jürgen Zosel und seinen Leuten, also bei der ORAFOL Fresnel Optics GmbH in Apolda. Der Dampf, der von einer solchen Apparatur erzeugt wird, wird hier genutzt, um Kunststofflinsen zu pressen. Den aller größten Teil seines Geschäfts macht das Unternehmen mit seinen fast 70 Mitarbeitern mit diesem Produktionsverfahren.
Betriebsschließung stand im Raum
Bis vor Kurzem gab es genau einen Dampfkessel, von solch elementarer Bedeutung für das Unternehmen. Betrieben wurde er mit Erdgas, was neben Zosel, dem Geschäftsführer der Gesellschaft, zuletzt auch den Mitarbeitern des Unternehmens viele, viele sorgenvolle Stunden bereitete. „Im Sommer 2022 hatten wir hier Diskussionen, die wollen sie gar nicht haben“, sagt Zosel. Die Überlegung damals sei gewesen: Sollte dem Unternehmen infolge einer bundesweiten Gasmangellage der Erdgashahn zugedreht werden, werde man die Türen zuschließen müssen. Wiedereröffnung fraglich.
In ungezählten großen und kleinen Betrieben in ganz Deutschland war die Diskussionslage vor etwa einem halben Jahr so. Denn natürlich war da immer die Frage, ob die Unternehmen die massiv gestiegenen Energiekosten würden bezahlen können. Auch für Fresnel Optics ist die Antwort darauf nicht einfach.
Gasmangellage und Kosten-Frage
Zosel rechnet für das Unternehmen für 2023 mit Gesamtenergiekosten – also Strom plus Gas – in Höhe von etwa 806.000 Euro. Im Jahr 2021 waren es noch etwa 446.000 Euro gewesen. Und ohne die staatlichen Preisdeckel für Strom und Gas wäre die prognostizierte Kostensteigerung für das laufende Jahr noch deutlich höher.
Noch über dieser Kosten-Frage aber schwebte zuletzt gerade für das produzierende Gewerbe die Sorge, selbst dann schließen zu müssen, wenn die Kassen übermäßig gut gefüllt wären. Dann nämlich, wenn selbst für alles Geld der Welt infolge einer Gasmangellage kein Erdgas zu bekommen sein würde.
Zwei Dampfkessel sorgen künftig für die Produktion
Zosel und seine Leute haben deshalb gehandelt. Statt an einem einzigen Kessel, wird der Großteil der Produktion bei Fresnel Optics demnächst an zwei dieser runden, silbernen Zylinder hängen, von denen nur noch einer auf Erdgas angewiesen ist.
In den alten Bestandskessel nämlich, sagt Zosel, habe er vor wenigen Monaten einen neuen Brenner einbauen lassen, sodass der jetzt über Flüssiggas gefeuert werden könne. Zudem habe er einen ganz neuen Kessel gekauft, der für den Betrieb mit Erdgas ausgelegt sei.
Versorgungssicherheit durch neuen Flüssiggas-Kessel
Sollte die Erdgasversorgung für das Unternehmen tatsächlich einmal gekappt werden, könnte der mit Flüssiggas betriebene Kessel die Versorgung mit Dampf übernehmen. Um den betriebsbereit bekommen, hat Zosel zudem einen Flüssiggastank auf dem Gelände der Firma installieren lassen. „Das alles hat uns natürlich ganz schön gestresst, viele Sachen sind deswegen auch liegengeblieben“, sagt Zosel.
Derartiger Stress ist nach den Beobachtungen des Energieberaters Andreas Raack, Geschäftsführer IB-e Ingenieurbüro für energetik aus Weimar, vor allem in solchen Unternehmen im vergangenen Jahr ganz extrem ausgebrochen, die sich in den Jahren vor der Energiekrise anders als etwa Fresnel Optics nie wirklich mit ihrem Energieverbrauch beschäftigt haben.
Viele von diesen kleinen und mittelständischen Unternehmen sind von der Energiekrise kalt überrascht worden und fangen jetzt an, sich für die Energiewende zu interessieren. Jetzt wird Energie bei vielen zur Chefsache.
– Andreas Raack, Auditor und Geschäftsführer IB-e Ingenieurbüro für energetik aus Weimar
Nur bei größeren, energieintensiven Unternehmen sei die Energiewende bereits vor dem russischen Überfall auf die Ukraine „schon seit Jahren ein ganz wesentlicher Tagesordnungspunkt“ gewesen.
Energiekrise beschleunigte Energiewende in Unternehmen
Selbst in solchen Unternehmen allerdings hat die Energiekrise bisweilen noch einmal Dinge beschleunigt, die zuvor jahrelang nur diskutiert worden waren – was wiederum auch das Beispiel Fresnel Optics zeigt. Denn wo Zosel und seine Leute schon einmal dabei waren, ihre Gasversorgung breiter aufzustellen, haben sie sich auch bei der Stromversorgung nachhaltiger aufgestellt: Im September und Oktober 2022 hat Zosel eine große Solaranlage auf dem Dach eines Firmengebäudes installieren lassen. „Wir hatten schon länger überlegt, uns so eine Anlage installieren zu lassen“, sagt er. Die Krise habe diesen Überlegungen und vor allem deren Umsetzung eine neue Dringlichkeit verliehen.
Die Kehrseite der Medaille: Mit dem großen Energiewende-Tatendrang von Zosel hat die deutsche Bürokratie zuletzt nicht Schritt halten können: Sowohl für den Betrieb des umgebauten Kessels als auch für den der Solaranlage fehlen derzeit noch ein paar Genehmigungen. Doch am grundsätzlichen Sinn dessen, was er zuletzt getan hat, zweifelt Zosel dennoch nicht. In den nächsten Tagen, sagt er, würden die nötigen Zertifikate schon kommen. „Am Ende ist die Energiekrise für uns auch eine Chance.“
Kontakt:
ORAFOL Fresnel Optics GmbH
Flurstedter Marktweg 13
99510 Apolda
Tel.: 03644 50110
E-Mail: info@fresnel-optics.de
Web.: www.orafol.com
Unser Tipp: Klar über Energieverbrauch sprechen
Der erste Schritt hin zu einem nachhaltigen Energiekonzept von Unternehmen ist nach Einschätzung sowohl des Energieberaters Andreas Raack als auch des Energiefachmanns der IHK Erfurt, Karsten Kurth, dass sich Betriebe und Firmen einen umfassenden und ehrlichen Eindruck vom eigenen Energiebedarf machen – und dann auch mit ihren Mitarbeitern darüber sprechen. „Der wichtigste Punkt ist ein sauberer, ein strukturierter Umgang mit Energie“, sagt Raack.
„Dazu gehört auch, dass man seinen Energieverbrauch im Unternehmen klar kommuniziert, damit die Leute an den Maschinen wissen: Wie viel Energie haben wir im letzten Monat eingesetzt? Ist das so viel Energie, wie wir erwartet haben? Man darf nicht nur Stückzahlen und Qualität im Blick haben.“
Erst danach, sagt Kurth, könnten sich die Verantwortlichen in einem Unternehmen überlegen, welche Einsparungen möglich und angemessen seien. Das sei je nach Branche sehr unterschiedlich. Während ein Bäcker beispielsweise zuallererst bei seinen Öfen nach Einsparmöglichkeiten suchen müsse, gehe es bei einem Friseur eher um die Klimaanlage im Salon.
Autor: Sebastian Haak