„Weniger Auswahl, längere Nutzungsdauern, kompletter Verzicht“

©Dennis Schmelz/Prof. Dr. Dieter Sell, Geschäftsführer der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur
Prof. Dr. Dieter Sell, Geschäftsführer der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur
Warum sollte ich diesen Artikel lesen?
  • Die Energiewende scheint gesellschaftlich akzeptiert, doch wie sie gelingen kann, wird noch umfassend diskutiert.
  • Die Maßnahmen sind vielfältig, doch fraglich ist: Reicht die Umstellung auf Elektroautos? Wo nehmen wird das Lithium für die Akkus her? Können wir unseren Wohlstand halten oder ist Verzicht die Lösung?
  • Lesen Sie im Interview mit Prof. Dr. Dieter Sell, Geschäftsführer der ThEGA, wo sein Augenmerk liegt und warum er den Eintausch des Verbrenners gegen ein Elektroauto durchaus auch kritisch sieht.

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die lange geleugnete und am Ende doch fatal-reale Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energieträgern schonungslos offenbart. Und nun?

Im Interview spricht der Geschäftsführer der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur, Prof. Dr. Dieter Sell, darüber, warum zum Abschied von Gas, Kohle und Öl beziehungsweise zum Einstieg in eine klimaverträgliche Zukunft mehr nötig ist, als Elektroautos zu kaufen. Außerdem spricht der Mann, der nicht nur die sogenannte ThEGA leitet, sondern auch Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften ist, über das Plastikspielzeug seiner Enkel – und darüber, warum es in Zukunft ohne Verzicht auf zumindest ein bisschen Wohlstand nicht mehr gehen wird.

Herr Sell, Sie haben viel mit Unternehmern zu tun… Wenn ein Geschäftsführer Ihnen erzählt, dass er seinen deutschen Premium-Dienstwagen mit Dieselmotor gegen ein nicht weniger teures Elektroauto des US-Herstellers Tesla eingetauscht hat und Sie dabei in Erwartung eines großen Lobes anlächelt: Was sagen Sie ihm?

Dieter Sell: Ach, das ist schwierig…

Warum? Hat der nicht alles richtig gemacht?

Dieter Sell: Na ja, er ist schon mal in die richtige Richtung gegangen.

Mehr nicht? Klingt nicht nach großem Lob…

Dieter Sell: Man müsste sich noch mal genau anschauen, was das für ein neues Auto ist. Es gibt ja Teslas, die in zwei Sekunden von null auf hundert Stundenkilometer sind… Ob das wirklich sinnvoll ist? Mir scheint so etwas eine Verschwendung wertvoller Ressourcen zu sein. Da kann es gut sein, dass man durch so etwas die guten Effekte, die man bei der Anschaffung eines Elektroautos durchaus hat, wieder kaputt macht. Am Ende geht es jedenfalls bei solchen leistungsstarken Elektroautos doch vor allem um schneller, höher, weiter. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Und Elektromobilität grundsätzlich?

Dieter Sell: Die Herausforderung bei der Elektromobilität ist, dass man sich die Frage stellen muss, woher eigentlich die Ressourcen kommen sollen, die man braucht, wenn man Elektroautos in die Breite bringen will. Bekanntermaßen geht es dabei vor allem um die Batterie. Also: Wo nehmen wird das Lithium für die Lithium-Ionen-Akkus her? Das ist ja nicht an sehr vielen Stellen auf der Welt vorhanden und dort, wo es das gibt, muss man schon sehr große Flächen vielleicht komplett zerstören, aber dort doch massiv eingreifen, um diesen Rohstoff gewinnen zu können. Dazu kommt, dass wir beim Recycling von Elektroautos zwar auch auf dem Weg in die richtige Richtung, aber noch längst nicht am Ziel angekommen sind. Auch da geht es hauptsächlich um die Batterie.

Meint: Wenn ich meinen Verbrenner gegen ein E-Auto austausche, kann ich mich immer noch nicht umweltentspannt zurücklehnen?!

Dieter Sell: Ganz sicher nicht. Dazu ist das Thema Mobilität viel zu komplex.

Haben Sie den Eindruck, dass diese Komplexität in der Breite der Gesellschaft angekommen ist?

Dieter Sell: Nein. Bei den Technologieentwicklern ist dieses Bewusstsein zwar inzwischen da. Jetzt fangen ja auch die deutschen Autohersteller an, eigene Batteriewerke zu bauen. Aber zu viele Menschen glauben noch immer, sie könnten sich einfach ein Elektroauto kaufen und dann wäre die Welt wieder in Ordnung. Das ist aber nicht so. Ganz zu schweigen davon, dass wir gar nicht in der Lage wären, den Ressourcenhunger zu stillen, wenn wir von heute auf morgen, alle unsere Autos auf Elektromobilität umstellen würden.

Wie kann das also funktionieren, die Umstellung auf Elektroautos?

Dieter Sell: Also grundsätzlich – und das muss man vielleicht noch einmal betonen – ist der Weg weg vom Verbrenner hin zu elektrisch betriebenen Fahrzeugen schon richtig. Das gilt für die gesamte Gesellschaft, auf ganz vielen Feldern: Weg von fossilen Energieträgern, hin zu Erneuerbaren Energien. Und ebenso grundsätzlich ist es richtig, dass das Schritt für Schritt passieren muss: Ausbau der Ladeinfrastruktur, Ausbau der Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien, mehr Zulassungen von Elektroautos. Aber da stecken natürlich viele Detailfragen dahinter, die ich Ihnen gar nicht abschließend beantworten kann, die Ihnen derzeit niemand abschließend beantworten kann. Wir müssen uns einfach eingestehen, dass durch den Ukraine-Krieg viele neue wichtige Fragen aufgeworfen worden sind, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Schauen Sie zum Beispiel auf die Produktion neuer Windräder, die wir für die Energiewende eigentlich unbedingt brauchen.

Was ist mit den Windrädern?

Dieter Sell: Diese Anlagen werden jetzt teurer, was die Kosten für die Energiewende natürlich hochtreibt. Denn ein Windrad besteht natürlich aus jeder Menge Stahl. Und infolge der explodierenden Energiepreise kostet Stahl jetzt einfach viel mehr als früher. Eigentlich ist deshalb durch den Krieg nur eine Sache ganz klar geworden.

Welche denn?

Dieter Sell: Dass billige Energie aus fossilen Quellen die Triebfeder für unseren Wohlstand und für unsere Bequemlichkeit war.

Und damit ist es jetzt vorbei?

Dieter Sell:
Das ist die ganz große Frage, die hinter dieser Feststellung steht. Wir müssen uns sehr ernsthaft Gedanken darüber machen, ob das immer so weitergehen kann mit unserem Lebensstil. In einem Teil der Bevölkerung sehe ich da wirklich ein Umdenken. Wenn ich unterwegs bin, begegnen mir zum Beispiel viel mehr Lastenfahrräder auf der Straße. Aber ich kenne auch noch immer Leute, die einen Arbeitsweg von 700 Metern haben und die dafür das Auto nehmen, jeden Tag.

Prof. Dr. Dieter Sell, Geschäftsführer der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur
©ThEGA/Prof. Dr. Dieter Sell, Geschäftsführer der Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur

Also, was denken Sie: Geht das so weiter mit unserem Lebensstil?

Dieter Sell: Ich kann mir das schwerlich vorstellen. Und auch das ist nach meiner Wahrnehmung erst bei den allerwenigsten Menschen angekommen. Im Gegenteil. Viele Menschen tun so, als hätten sie ein Grundrecht auf ganz viele Produkte, ohne dass sie sich Gedanken darüber machen, wo das Zeug eigentlich herkommt, wie aufwändig es ist, Dinge herzustellen, was wir damit in der Umwelt anrichten, was wir damit Menschen in anderen Ländern antun.

Zum Beispiel?

Dieter Sell: Bleiben wir bei Energie: Wer macht sich schon Gedanken darüber, wie Ölförderung im Nigerdelta in Afrika wirklich aussieht, wenn er an der Tankstelle steht und sein Auto volltankt. Das ist nicht schön, das ist unbequem, so was verdrängt man natürlich, damit man weitermachen kann. Aber das ist keine Strategie für die Zukunft.

Nun ist Energie gerade so teuer wie nie in der jüngeren Vergangenheit: Glauben Sie, dass das bei einer relevanten Anzahl an Menschen zu der Einsicht führen wird, dass wir alle in Zukunft werden mehr Verzicht üben müssen. Bei Sprit oder der Heizung zu sparen, ist schließlich bereits eine erste Form von Verzicht…

Dieter Sell: Auf jeden Fall hat der Ukraine-Krieg vielen Dingen, die wir im Klimabereich tun müssen, eine noch viel höhere Priorität verliehen. Schlicht aus ökonomischen Gründen. Zu uns in die ThEGA kommen inzwischen viele Firmen, die merken, dass sie ihre Produkte nicht mehr verkaufen können, wenn die Energiekosten für die Produktion immer weiter steigen. Nehmen wir so etwas wie eine Dachpfanne. Bei deren Herstellung wird so viel Energie verbraucht, dass die eigentlich gar keiner mehr bezahlen kann, bei den stark gestiegenen Gaskosten. Da müssen andere Wege in der Produktion gefunden werden. Wobei es aber auch zur Wahrheit gehört: Für viele Produkte ist das kurzfristig überhaupt nicht möglich.

Also werden die Preise für sehr vieles weiter steigen?

Dieter Sell: Wahrscheinlich.

Können die deutsche Wirtschaft und die deutschen Verbraucher jemals wieder mit billiger Energie rechnen, also dann, wenn der Umstieg auf die Erneuerbaren Energien vollzogen ist?

Dieter Sell: Das ist noch so eine Frage, die ganz schwer zu beantworten ist. Grundsätzlich ist es so, dass zum Beispiel die Kilowattstunde Strom aus einem Windrad vier bis sechs Cent kostet. Selbst wenn man annimmt, dass sich dieser Preis verdoppeln wird, weil die Produktion von Windrädern teurer wird, wäre das noch immer vergleichsweise billig. Allerdings kann mit diesen Preisen nur arbeiten, wem das Windrad gehört; also das Unternehmen dann, wenn es sich eine solche Anlage vor die Tür gesetzt hat und den von diesem Windrad erzeugten Strom direkt selbst verbraucht. Aber dieses Windrad dreht sich ja nicht immer und Solarzellen auf Unternehmensdächern produzieren nachts keinen Strom. Also werden wir alle – egal ob Unternehmen oder Verbraucher – auch in Zukunft auf Strom angewiesen sein, den wir nicht selbst erzeugen, sondern der über das Stromnetz zu uns kommt. Dieses Netz aber muss massiv ausgebaut werden, was wiederum viel Geld kosten wird. Und das wird dafür sorgen, dass zumindest auch dieser Teil der Energiepreise hoch bleiben wird. Wie hoch, kann niemand vorhersagen. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir immer sagen: Stromerzeugung so nah wie möglich am Verbraucher ist das beste Mittel gegen ausufernde Kosten beim Netzausbau.

Ganz abgesehen, dass der Netzausbau wegen der langen Genehmigungszeiten in Deutschland gefühlt ewig dauert…

Dieter Sell: Stimmt, es ist da viel Potenzial vorhanden, was wir heben können. Um es mal freundlich zu formulieren. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir den Umstieg schaffen können. Wenn uns die Not drückt, wird die Einsicht da sein, dass man Dinge schneller machen muss. Dazu trägt bestimmt auch bei, dass nach dem, was wir so mitbekommen, gerade viele Unternehmen auf die Politik zugehen und sich da für Veränderungen stark machen.

Sie haben vorhin angedeutet, dass es für eine klimaverträglichere Zukunft aus Ihrer Sicht ohne Verzicht nicht gehen wird. Wie wird dieser Verzicht aussehen? Auswahl nur noch aus zehn Automodellen eines Herstellers statt wie bisher aus dreißig oder vierzig? Statt alle zwei Jahre ein neues Handy nur noch alle acht Jahre?

Dieter Sell: Man kann natürlich Technik noch energiesparender machen, noch ressourcenschonender. Aber auch da werden wir an Grenzen gelangen. Vergleichbares gilt beim Recycling. Deshalb glaube ich: Es wird ohne Verzicht nicht gehen, ja.

Noch mal: Wie wird dieser Verzicht aussehen, für den Endverbraucher?

Dieter Sell: Teilweise wahrscheinlich so, wie Sie das beschrieben haben: Weniger Auswahl an Produkten, längere Nutzungsdauern, kompletter Verzicht auf dies und das. Das alles muss ja nicht immer schlecht sein: Ich habe zwei Enkel. Wenn ich mir anschaue, wie viele nutzlose Plastikspielzeuge in ihren Zimmern die stehen haben, dann kann der Verzicht auf solche Sachen in Zukunft doch auch ein Gewinn sein. Viele unserer Konsumprodukte nützen niemand etwas, außer dem, der damit sein Geld verdient.

Klingt, als würden Sie das Ende des Kapitalismus erwarten. Immerhin ist der ja auf Konsum und immer mehr und mehr ausgelegt…

Dieter Sell: Vielleicht werden wir ja vielmehr einen Kapitalismus in einer anderen Ausprägung erleben. Ich kann mir gut vorstellen, dass alleine die geänderten Energie- und Rohstoffpreise zu Verzicht führen werden, was am Ende eine doch wirklich eine sehr kapitalistische Entwicklung wäre. Es ist ja jetzt schon zu spüren: Menschen überlegen sich sehr genau, wofür sie ihr Geld ausgeben. Und wenn wir ehrlich sind, erleben wir doch seit Beginn der Corona-Pandemie mit den vielen gestörten Lieferketten – wenn auch in einem noch sehr begrenzten Umfang –, dass Dinge auch mal einfach nicht verfügbar sind, die in den Jahren zuvor immer und zu jeder Zeit da waren. Und: Das erste Corona-Jahr hat doch gezeigt, wie gut viele der damaligen Einschränkungen – die menschlich natürlich oft verheerend waren und eine dramatische Ursache hatten – für unsere Klimabilanz waren.

Interview: Sebastian Haak

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