Noch vor gar nicht allzu langer Zeit war an Krise bei ARJES gar nicht zu denken. „Wir haben in den vergangenen Jahren relativ sorgenfrei gearbeitet“, sagt Hayn. Das Unternehmen, das er führt, sitzt in Leimbach in Westthüringen und stellt sogenannte Zerkleinerer her – also große Schredder, die in der Recyclingwirtschaft eingesetzt werden. Holz, Kunststoff, Metall, Bauschutt lassen sich damit zerkleinern.
In einer Welt, die zunehmend erkennt, dass Ressourcen endlich sind und die Wiederverwertung von gebrauchten Dingen – die eben kein Abfall sind – wichtig ist, verdient die Gesellschaft ihr Geld auf einem Zukunftsmarkt. Und davon nicht wenig.
Unternehmenswachstum war kaum zu bremsen
Nach Angaben von Hayn machte ARJES vor zehn Jahren einen Umsatz von etwa zehn Millionen Euro jährlich und fertigte etwa 50 bis 70 seiner Maschinen. Im vergangenen Jahr lag der Umsatz schon bei etwa 80 Millionen Euro, erwirtschaftet durch den Verkauf von mehr als 400 Zerkleinerern. Höchstens der Mangel an weiteren, qualifizierten Beschäftigten schien das Wachstum zu bremsen.
Corona, dann der Ukraine-Krieg und die Lieferengpässe
Doch diese Zeiten sind vorbei. Sie waren schon ein bisschen vorbei mit dem Beginn der Coronapandemie Anfang 2020. Sie sind endgültig vorbei, seit Russland Anfang 2022 die Ukraine überfallen hat. Statt über weitere Umsatzsteigerungen sprechen zu können, muss Hayn deshalb nun über fehlende Motoren, Schweißdraht und das „Klopapier-Prinzip“ reden.
Das ist ein brandgefährlicher Mix, bei dem man gar nicht mehr auseinanderhalten kann, was kommt von Corona, was vom Krieg.
– Thomas Hayn, Geschäftsführer der ARJES GmbH, Leimbach
Für dieses Jahr erwartet ARJES einen Umsatzrückgang von zehn bis 15 Millionen Euro. Das Unternehmen wird wohl ungefähr 100 Maschinen weniger bauen als 2021. „Nur wegen der Lieferengpässe“, sagt Hayn.
Mit derlei Sorgen stehen Hayn und ARJES freilich längst nicht allein da. Ganz im Gegenteil. Es gibt kaum ein Unternehmen in der westlichen Welt, das derzeit nicht mit unterbrochenen Lieferketten zu kämpfen hätte. „Egal, wie lange ich nachdenke, mir fällt keine Branche ein, die es nicht betrifft“, sagt deshalb auch die Abteilungsleiterin Unternehmensförderung bei der IHK Erfurt, Peggy Lindner. Sie geht – laut denkend – verschiedene Branchen durch, bis sie bei einem imaginären Gastronomen gelandet ist, der nur regionale Produkte verkocht. „Aber selbst bei dem kommen die Stühle für die Gäste wahrscheinlich aus Italien, seine Küchengeräte zumindest teilweise aus China“, sagt Lindner. Also über Lieferketten, die nicht mehr zuverlässig funktionieren.
Drei Strategien zur Lösung der Lieferengpässe
Um auf diese Situation zu reagieren, haben sich aus Sicht von Hayn vor allem zwei Strategien bewährt; und eine, die eigentlich gar nicht als Strategie gegen Lieferengpässe gedacht war, es aber tatsächlich doch ist.
1. Abkehr von „Just-in-time“ und hin zur traditionellen Lagerhaltung
Die erste dieser Strategien führt nach einem längeren Gespräch im Büro Hayns schließlich zu dem Zelt, über das er kurz vor dem Rundgang über das Firmengelände noch diese Sätze gesagt hatte: „Sie sehen da drüben ein Kirmeszelt, das kein Kirmeszelt ist. Das ist ein temporäres Lager, das wir eingerichtet haben. Jetzt steht es seit zwei Jahren.“ Im Inneren des Zelts liegen Unmengen Schweißdraht auf Halde, dazu zum Beispiel Motoren und Teile, die für die Hydraulik der Zerkleinerer gebraucht werden.
Diese Art von großer Lagerhaltung wird nach übereinstimmender Einschätzung von Hayn und Lindner für nicht wenige Unternehmen das neue Normal werden. Immer vorausgesetzt natürlich, die Betriebe verfügen über die nötigen Flächen, um Lager zu errichten. „Das ist aktuell der richtige Weg, trotz aller damit verbundenen Schwierigkeiten“, sagt Lindner, die damit zumindest indirekt auch den Abschied von einem lange gelebten Wirtschaftsprinzip beschreibt: der Idee von Just-in-time, also dem Vorsatz, immer nur genauso viele Vorräte im Unternehmen zu haben, wie man dort auf absehbare Zeit wirklich braucht.
Hayn beschreibt diese Abkehr, diese Rückkehr hin zur aus früheren Zeiten bekannten Lagerwirtschaft noch deutlicher:
Ich bin der Meinung, dass just-in-time ein Thema für die Geschichtsbücher ist.
– Thomas Hayn, Geschäftsführer der ARJES GmbH, Leimbach
Was es für viele Unternehmen so schwierig macht, jetzt wieder große Lagerbestände aufzubauen, ist allerdings, dass dafür nach den Beobachtungen von Hayn die gleichen Prinzipien gelten, die während der ersten Phase der Coronapandemie zu Frust in vielen deutschen Badezimmern geführt hatten, weil Toilettenpapier kaum noch zu haben war.
In Hayns Worten, bezogen auf so viele Einzelteile der Zerkleinerer: „Man hatte zuletzt das Gefühl, dass nach dem Klopapier-Prinzip bestellt worden ist: Man hat von einem Teil 500 Stück gebraucht und 1.000 Stück bestellt, in der Hoffnung, dann wenigstens 400 Stück geliefert zu bekommen.“ Damit habe man in der Wirtschaft zuletzt oft so gearbeitet, „wie man marktwirtschaftlich nicht arbeiten sollte“. Auch, weil dadurch die Preise nur noch weiter steigen. Wie beim Toilettenpapier 2020.
2. Vertrauen in regionale Zulieferer und Integration neuer Bezugsquellen
Die zweite Strategie, die Hayn und Lindner als Antwort auf die Lieferketten-Krise verfolgen oder empfehlen, hat nichts mit Zelten, aber viel mit Vertrauen zu tun: Auf bekannte und bewährte, am besten auch noch regionale Geschäftspartner und Zulieferer setzen, wobei die Crux dieser Strategie nach Angaben von Lindner darin besteht, sich gleichzeitig nach alternativen Bezugsquellen für wichtige Teile umzuschauen. Wer Produkte aus der Region nutze, der könne einigermaßen gelassen auf geschlossene chinesische Häfen blicken, argumentiert Lindner.
Dass diese zweite Strategie bei einem Zuliefererteil funktionieren kann, bei einem anderen dagegen nicht, davon wiederum kann Hayn erzählen. Bei den Motoren, die ARJES in seine Zerkleinerer einbaut, sei es ziemlich aussichtslos, sich nach Alternativen umzuschauen. „Wenn Ihnen Volvo keinen Motor liefern kann, können Sie zwar in der Theorie auf einen anderen Anbieter ausweichen“, sagt er. „In der Praxis haben aber alle die gleichen Probleme.“ Bei Stahl dagegen war das Unternehmen erfolgreich. Als eine Quelle für den Stahlnachschub zu versiegen drohte, gelang es Hayn und seinen Leuten eine andere Quelle aufzutun.
3. Schlankes Produktportfolio
Und die dritte Strategie, die gar nicht als solche gedacht war? Die Zerkleinerer von ARJES gibt es nur in drei Ausführungen und es gibt nur wenige Möglichkeiten, die Maschinen durch Optionen irgendwie zu verändern. Das sei ein „schlankes Produktportfolio“, sagt Hayn. Das bedeutet im Umkehrschluss freilich, dass die Macher der Zerkleinerer weniger verschiedenartige Teile brauchen als Unternehmen, die Spezialmaschinen in fünf, zehn oder fünfzehn Ausführungen mit jeweils in fünf, zehn oder fünfzehn Konfigurationen anbieten.
Für so viele verschiedene Einzelteile wäre selbst in dem großen Zelt kein Platz. Ganz abgesehen davon, wie unmöglich es derzeit wäre, diese Teile zeitnah und zuverlässig zu beschaffen. Es ist diese Strategie, die bald wahrscheinlich in großen Teilen der Wirtschaft noch viel mehr Beachtung finden wird, auf der Suche nach einem Weg in die Zukunft.
Weniger ist eben manchmal mehr.
Autor: Sebastian Haak
So hilft die IHK Erfurt
Unternehmen, die auf der Suche nach neuen Zulieferern sind, können sich auch an die IHK Erfurt wenden. Über das sogenannte Enterprise Europe Network (EEN) kann die Kammer Unternehmen behilflich sein, europaweit neue Geschäftsbeziehungen anzubahnen. Als Reaktion auf die Lieferketten-Krise hat das EEN sogar eine eigene Plattform, die sogenannte „The Supply Chain Resilience platform“ eingerichtet. „Ziel der Plattform ist, unkompliziert Geschäftspartner zusammenzubringen, um internationale Lieferketten zu sichern“, heißt es dazu vom EEN. Die IHK Erfurt ist der regionale Partner des EEN für ganz Thüringen.