Es sollte ein Augustwunder werden und wurde ein Maikämpfer – so lassen sich gleich zwei Geschichten beginnen. Zwei Geschichten, die ganz direkt ineinandergreifen und die ohneeinander kaum denkbar wären. Zum einen ist es die Geschichte Raphaels, der 2017 mit gerade einmal 440 Gramm und drei Monate vor dem errechneten Geburtstermin auf die Welt kam. Zum anderen ist es die Geschichte eines Waltershäuser Unternehmens, das die Herstellung und den Vertrieb von Spezialkleidung für Frühchen betreibt.
Doch von Anfang an. Es ist ein Mittwochnachmittag in der Waltershäuser Innenstadt. Oliver Tlusteck öffnet die mit Sichtschutzfolie beklebte Tür zu seinem Ladenlokal. Dicht an dicht stehen hier – auf nur wenigen Quadratmetern – Stahlregale mit allerhand kleinen und großen Kartons. „Wir beginnen eben auf Garagengröße“, sagt Tlusteck, lacht und reicht einen Kaffee. „Du kannst alles schaffen!“ steht auf der Tasse. Und geschafft haben Oliver Tlusteck und seine Frau Jennifer schon einiges. Über dem Schreibtisch, der gleich hinter den Regalen steht, leuchten Urkunden. Sie bezeugen nicht nur Tlustecks Prüfung zum Betriebswirt, sondern auch verschiedene Eintragungen beim Patent- und Markenamt.
Keine geeignete Kleidung auf dem Markt verfügbar
Eine dieser Eintragungen ist für die Marke „meinmaikaempfer“ ausgestellt. Und doch sind es nicht die bürokratischen Akte, auf die Oliver Tlusteck stolz ist. Viel mehr ist es das private Schicksal, das die kleine Familie inzwischen seit sechs Jahren meistert. Als Raphael am 4. Mai 2017 per Notkaiserschnitt auf die Welt kam, stand für seine Eltern die Welt Kopf. Viel zu früh kam das Baby, wog weniger als ein Glas Honig und war doch am Leben. „Für uns war es damals und ist es bis heute einfach faszinierend, was moderne Medizin kann“, sagt Oliver Tlusteck. 265 Tage musste Raphael im Krankenhaus bleiben, war zunächst im Inkubator und wechselte dann in ein Wärmebettchen. „Damals zeigte sich für uns eine enorme Herausforderung darin, dass es auf dem Markt keine für Frühchen angepasste Kleidung gibt“, erinnert sich Tlusteck und betont, dass dies nicht nur eine Frage der Größe sei.
Frühgeborene haben ganz besondere Anforderungen an ihre Umgebung. Das beginnt damit, dass Materialunverträglichkeiten in diesem Status zur Lebensgefahr führen können. Außerdem haben sie eine sehr empfindliche Haut, die jeglichen Druck spürt und sich diesem annimmt. Die Haut eines Frühchens ist wie ein Memory-Foam.
– Oliver Tlusteck, Gründer von meinmaikaempfer
Babykleidung sei aber in der Regel mit Druckknöpfen aus Nickel ausgestattet, diese würden die Gefahr eines allergischen Schocks und das unangenehme Aufliegen sogar miteinander verbinden, erklärt Tlusteck. Und auch die oftmals von Zugehörigen und Freunden gefertigten Frühchenbekleidungen seien nicht immer geeignet: „Es ist eine Frage des Materials, das selten aus qualifizierten Fasern besteht und bei dem es oft zum Einsatz schädlicher Chemikalien kommt.“
Baumwolle statt Chemie-Fasern
Im Wissen um diese Schwierigkeiten entwickelten die Tlustecks daher eine Geschäftsidee. Zusammen mit Bekannten und später auch mit qualifizierten Unternehmen entwickelten sie erste Prototypen für geeignete Kleidung. „Wir setzen von Beginn an auf Biobaumwolle mit gesicherter Herkunft und entsprechenden Zertifikaten“, erklärt der Unternehmensinhaber und berichtet, dass diese aus Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern bezogen werde. Statt der Druckknöpfe ist für das Unternehmen meinmaikaempfer der Einsatz von Klettverschlüssen die erste Wahl: „Die lassen sich ohne Kraftaufwendung schließen und sind außerdem ganz leicht.“ Und noch etwas gelte es bei Frühchenbekleidung zu beachten, erklärt Tlusteck: „Die Nähte können bei den Kleinen Wundheit und Druckstellen verursachen. Für uns ein Grund, sie bei unseren Produkten außen aufzusetzen und nur die schmale Ziernaht nach innen zu haben.“ Außerdem ermögliche der Schnitt, dass die Kleinen ohne große und unangenehme Bewegungen versorgt werden könnten. Eine Herausforderung, die bei klassischer Babykleidung durch die Verschlüsse vollkommen anders aussieht.
Betroffene Familien finanziell entlasten
Es seien diese und noch viele weitere Aspekte, welche die Herstellung der Spezialkleidung so herausfordernd machten, sagt er, betont dabei aber auch den finanziellen Aspekt, der hinter dem Start-Up aus Thüringen steht: „Für Eltern von Frühchen geht es nicht nur um emotionale Belastungen, sondern auch um finanzielle Schwierigkeiten. Oft bringt mindestens ein Elternteil ganze Monate im Krankenhaus zu. Auch nach der Entlassung brauchen die Kleinen dann noch viel Zeit und Pflege, die durch die Familie geleistet wird. Aus diesem Grund ist es uns wichtig, unser Angebot nicht nur technisch geeignet zu gestalten, sondern auch erschwinglich zu halten. Daher gehört der Verkauf von Gutscheinen zu einem wichtigen Aspekt unseres Handels.“
Über den eigenen Onlineshop vertreibt das Unternehmen die Kleidung, welche unter anderem im ostthüringischen Tanna bei einem Hersteller von Krankenhauskleidung gefertigt wird. 26 Produktgruppen bietet meinmaikaempfer an. Neben Bodies und Mützchen sind inzwischen auch spezielle Halstücher Bestandteil der Strategie. Das Besondere an ihnen: Sie lassen sich über HME-Filter ziehen und sind nicht nur für Babys geeignet. „Diese Tücher kommen inzwischen auch schon in Pflegeeinrichtungen zum Tragen und helfen den Menschen dort, mit einem sicheren Gefühl an die frische Luft zu gehen – trotz Tracheostoma“, erklärt Oliver Tlusteck.
Alle Produkte, die das Unternehmen anbietet, sind nicht nur ideal für ihre Zielgruppe geeignet, sie seien auch so umweltfreundlich wie möglich, erklärt Tlusteck: „Wir achten sehr auf unseren ökologischen Fußabdruck, auf das Thema der Nachhaltigkeit und die Regionalität.“ Zu Letzterem gehört auch die enge Verbindung des Unternehmens mit der Industrie- und Handelskammer in Erfurt. Nicht nur, weil hier bei Bedarf zu Themen der Unternehmensfinanzierung beraten wird, sondern auch weil Oliver und Jennifer Tlusteck sich für den Zukunftspreis der IHK und HWK beworben haben.
Interessantes zum Zukunftspreis der IHK und HWK
Wer sich unternehmerisch mit innovativen und kreativen Geschäftsmodellen herausfordert, leistet gleichzeitig einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung sowie der nachhaltigen Gestaltung der Zukunft. Diese Leistung zeichnen die Handwerkskammer Erfurt (HWK) und die Industrie- und Handelskammer Erfurt (IHK) jährlich mit dem Zukunftspreis aus.
Diese besonderen unternehmerischen Leistungen können ausgezeichnet werden:
- Digitalisierung von Geschäftsprozessen,
- innovative Produkte, Verfahren oder innovative Unternehmensführung,
- geplante bzw. erfolgreiche Geschäftserweiterungen / Investitionen,
- erfolgreiche Projekte zur Fachkräftesicherung und -gewinnung (Ausbildung und Qualifizierung),
- besondere Formen der Mitarbeiterführung / Mitarbeiterbindung,
- erfolgreiche Unternehmensnachfolge oder Geschäftsübergabe sowie
- nachhaltige und umweltbewusste Produktion / Verfahren / Geschäftsmodelle.
Ein Angebot für Klinik-Konzerne
„Derzeit sind wir noch im Aufbau des Unternehmens, das wir seit März 2023 hauptberuflich betreiben. Wir wissen aber – eben auch aus eigener Erfahrung – wie groß der Bedarf an Sonderkleidung für Frühchen ist und wie wichtig eine adäquate Versorgung sein kann“, sagt Oliver Tlusteck, der bereits mit verschiedenen Krankenhausgesellschaften im Gespräch über eine mögliche Kooperation ist.
Was wiederum Raphael angeht, der ist inzwischen ein Vorschulkind. Mit sechs Jahren lerne er gerade die Welt freudig kennen und trage auch gern eines seiner Cappies mit der Aufschrift „Wunderkind“ oder „aussergewoehnlich“ aus dem Shop seiner Eltern. Denn auch das gehört für das Unternehmen zum Geschäftskonzept: die Weiterbegleitung der Frühgeborenen über ihre Zeit als Kleinkind hinaus.
Autor: Paul-Philipp Braun
Kontakt:
Inhaber/Geschäftsführer: Oliver Tlusteck
Anschrift: Steingasse 2, 99880 Waltershausen
Tel.: +49 (0)15203073804
Mail: tlusteck.salesandmore@gmail.com
Website: meinmaikaempfer® – Sonderbekleidung für Frühchen und Kleinkinder – Sonderbekleidung für Frühchchen und Kleinkinder