„Warum sollten wir Ruhla als verlängerte Werkbank betrachten?“

©Michael Reichel/arifoto.de/Willi Birk, Geschäftsführer der POINTtec GmbH aus Ruhla.
Willi Birk, Geschäftsführer der POINTtec GmbH aus Ruhla.
Warum sollte ich diesen Artikel lesen?
  • Die Uhrenindustrie hat in der Westthüringen Stadt Ruhla eine lange Tradition.
  • Nach dem Zerfall der Uhrenstandorte in Westdeutschland nutzte die POINTtec GmbH die Kapazitäten und das Know-how der ehemaligen VEB Uhren Ruhla.
  • Im Interview erzählt der Geschäftsführer Willi Birk von der Tradition in der Region, der Suche nach Fachkräften und den neuen Herausforderungen der Uhrenmacher.

 

Uhren und Ruhla – die Verbindung zwischen diesen für unser Leben so wichtigen Zeitanzeigern und der kleinen Stadt in Westthüringen hat eine lange Tradition. Heute prägt neben anderen Unternehmen vor allem POINTtec die Branche dort. Etwa 20 seiner insgesamt rund 50 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen in Ruhla. Im Interview mit dem WiMa erinnert sich der Geschäftsführer von POINTtec, Willi Birk, daran, wie er die Produktion seiner Uhren in den 1990er Jahren von Frankreich nach Ostdeutschland verlagert hat. Er spricht über die hohe Qualifikation der Mitarbeiter in der Region. Und er sagt, was er vom Trend zu Smart Watches hält.

Herr Birk, was fasziniert Sie an Uhren?

Willi Birk: Schon während meines Studiums war ich sehr an Uhren interessiert. Ich hatte bereits damals die Idee im Hinterkopf, dass ich mich nach dem Studium in diesem Bereich selbstständig machen will. Das habe ich dann auch getan. Denn in einer Uhr steckt doch so viel. Es gibt kaum ein anderes Konsumprodukt, das so vielfältig ist. Sie braucht ein ansprechendes Design, sie ist technisch höchst anspruchsvoll, sie besteht aus verschiedenen Materialien, aus Metall, aus Leder. Bei einer hochwertigen Uhr haben Sie ganz schnell 200 Einzelteile oder sogar noch mehr, auf einer Fläche, die ja nicht größer ist als der Platz, den die Uhr an Ihrem Handgelenk einnimmt. Und all diese Einzelteile müssen präzise ineinandergreifen, da wird mit ganz, ganz geringen Toleranzen gearbeitet, sonst stimmt die Zeit nicht. Das ist doch faszinierend, oder?

©Michael Reichel/arifoto.de/Uhrenwerke Ruhla GmbH

Wenn Sie sich schon so viele Jahrzehnte lang für Uhren interessieren, wann haben Sie das erste Mal in Ihren Leben von Uhren aus Ruhla gehört?

Willi Birk: Das kann ich Ihnen nicht mehr genau sagen. Aber es muss schon ziemlich früh in meinem Leben gewesen sein. Wenn man sich für Uhren interessiert, dann kommt man ja auch schnell dazu, die Unternehmen zu kennen, die auf diesem Gebiet führend sind. Ganz genau weiß ich noch, was mich schon immer an der Uhrenherstellung in Ruhla begeistert hat: Dass hier ja wirklich alles selbst gemacht worden ist: Gehäuse, Werke, Einzelteile für die Werke, Zeiger. Alles das hat Ruhla selbst gemacht. Das findet man ganz, ganz selten. Üblicherweise haben Uhrenhersteller die Werke beim Werkfabrikanten gekauft, die Zeiger beim Zeigerfabrikanten, die Gehäuse beim Gehäusefabrikanten… Das ist so ähnlich wie in der Autoindustrie: Für jedes Einzelteil gibt es einen Spezialhersteller. Aber Ruhla hat alles gemacht. Da steckt eine unglaubliche Menge an Erfahrung dahinter.

Ist das der Grund, warum Sie nach der Gründung von POINTtec 1987 bald nach der Wende angefangen haben, Ihre Uhren in Ruhla fertigen zu lassen?

Willi Birk: Ja, auch wenn die Geschichte ehrlicherweise etwas komplizierter war. Ich habe meine Uhren zuerst in Frankreich produzieren lassen – und zwar deshalb, weil viele der Uhrenstandorte in Westdeutschland um das Jahr 1987 herum schon zerfallen waren. Wenn Sie sich überlegen, was es in den 1950er oder 1960er Jahren zum Beispiel in Pforzheim noch an Uhrenbetrieben gab… Das ist alles in den 1970er und 1980er Jahren gestorben. In Frankreich gab es dagegen Ende der 1980er Jahre noch eine komplette Infrastruktur zur Herstellung von Uhren und ihren Einzelteilen. Also habe ich zunächst dort produzieren lassen.

Und dann?

Willi Birk: Dann war es so, dass der französische Fabrikant, der meine Uhren montiert hat, nach einem Jahr pleite gegangen ist, nachdem die Geschäftsführung vom Senior an den Junior übergegangen war. Also musste ich mich nach einem neuen Unternehmen umschauen, das meine Uhren montieren würde. Und zwar schnell.

Und das war das Nachfolgeunternehmen des VEB Uhrenwerk Ruhla?

Willi Birk: Genau. Ich habe damals mit Artur Kamp telefoniert, der seit 1961 im VEB tätig war, zuletzt als Entwicklungsdirektor und heute Vorsitzender des hiesigen Fördervereins zur Bewahrung der Uhrentradition in Ruhla ist. Er sagte mir damals: „Wir können Ihnen alles montieren. Wir haben genug Kapazitäten und Knowhow!“ Dann bin ich also in einer Nacht- und Nebelaktion, wenn Sie so wollen, mit dem Volvo, den ich damals fuhr und der eine riesige Ladefläche hatte, drei Mal nach Frankreich gefahren, und habe alle meine Uhren-Einzelteile – Gehäuse, Werke, Bänder – von dort nach Ruhla gebracht. Die Mitarbeiter hier haben dann Tag und Nacht gearbeitet, um das alles zu montieren.

Das war…

Willi Birk: Das war 1992. Seit damals werden meine Uhren hier hergestellt. In der Spitze haben wir hier am Standort etwa 170.000 Uhren jährlich produziert.

Hilft die lange Tradition der Region um Ruhla bei der Suche nach Fachkräften?

Willi Birk: Die Suche nach Nachwuchs ist auch hier schwierig. Wir bilden aus, wir haben gerade zwei neue Lehrlinge eingestellt. Aber es ist auch hier nicht einfach, junge Menschen zu finden, die Uhren montieren wollen und können.

Willi Birk, Geschäftsführer der POINTtec GmbH aus Ruhla.

Bei den Mitarbeitern, die wir schon haben, profitieren wird aber auf jeden Fall sehr davon, dass Ruhla eine so lange Uhrentradition hat. Ein Teil der Menschen, die heute hier arbeiten, hat das Handwerk schon zu DDR-Zeiten beim VEB gelernt. Und sie geben ihr Wissen natürlich auch an andere weiter.

– Willi Birk, Geschäftsführer POINTtec GmbH, Ruhla

Bis 2019 hat Ihr heutiger Standort in Ruhla noch zu einem anderen Unternehmen gehört. Sie haben das Werk dann aus der Insolvenz dieses Unternehmens heraus gekauft, um hier weiterproduzieren zu können. Das klingt ganz danach, als sei das Werk hier für Sie als westdeutschen Unternehmer tatsächlich die oft beschriebene verlängerte Werkbank im Osten…

Willi Birk: Ganz ehrlich? Das halte ich für einen ziemlichen Unsinn. Jedenfalls was uns angeht. Wir brauchen das Know-how, das die Leute hier haben. Warum sollten wir Ruhla da als verlängerte Werkbank betrachten? Natürlich sitzt unsere Firmenzentrale in Ismaning, aber das hat historische Gründe, ich habe ja vorhin erzählt, wie ich angefangen habe zu arbeiten. Aber deshalb betrachten wir Ruhla trotzdem als unseren Kernstandort für die Uhrenherstellung, nicht als verlängerte Werkbank. Sonst hätten wir den Standort nicht gekauft.

Nun tragen Sie – natürlich – eine hübsche mechanische Uhr aus Ihrem eigenen Haus am Handgelenk. Viele andere Menschen greifen heute zu Smart Watches, die zwar nicht schick sind, aber viel mehr können als die Zeit anzuzeigen. Glauben Sie trotzdem, dass mechanische Uhren und damit die Uhrenproduktion in Ruhla eine Zukunft haben?

Willi Birk: Das ist eine sehr gute Frage. Wenn ich alles wüsste, was die Zukunft so bringt… Natürlich wird es so sein, dass die Smart-Watch-Technologie den klassischen Uhren einen Teil des Marktes abnehmen wird. Das ist ja auch schon geschehen. Da brauchen wir gar nicht diskutieren, weshalb wir übrigens seit etwa drei Jahren schon an der Entwicklung einer eigenen Smart Watch arbeiten.

Und dennoch haben Sie den Standort hier 2019 noch gekauft?!

Willi Birk: Ja, weil ich fest davon überzeugt bin, dass sich die klassische Uhr trotzdem wird behaupten können, dass sie nicht aussterben wird und damit auch Uhren aus Ruhla eine Zukunft haben werden. Eine Uhr ist ja nicht nur ein Stück Technik. Sie ist auch ein Schmuckstück, gerade für Männer, die ja sonst kaum Accessoires tragen. Wie ich eingangs gesagt habe: In einer Uhr steckt so viel!

Interview: Sebastian Haak

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