Schulabschluss in der Tasche und dann? Erstmal studieren! So lautet die Antwort vieler junger Menschen, die vor der Wahl zwischen Studium und Ausbildung stehen. Dass der Trend immer stärker hin zum Studium geht, spiegelt der Arbeitsmarkt deutlich wider: Knapp jeder vierte Erwerbstätige (23 Prozent) hat heute an einer Universität, Fachhochschule oder Berufsakademie studiert. Gleichzeitig, so zeigen aktuelle Projektionen, wird die Fachkräftelücke im Bereich der beruflich Qualifizierten auch in der aktuellen Dekade weiter bestehen bleiben – und somit viele Bereiche der Wirtschaft bei der Personalgewinnung unverändert vor große Herausforderungen stellen.
„Studier-Reflex“ nicht immer die beste Lösung
Ein möglicher Grund für das anhaltende Streben nach höheren Bildungsabschlüssen ist die weit verbreitete Annahme, dass Akademikerinnen und Akademiker mehr Geld als beruflich Qualifizierte verdienen. Aber stimmt das wirklich? Nicht unbedingt. Am Ende ihres Erwerbslebens haben Akademiker und Personen mit einer abgeschlossenen Höheren Berufsbildung – also beispielsweise Meister, Fachwirte und Techniker – fast gleich viel verdient, nämlich rund 1,7 bzw. 1,6 Millionen Euro brutto. Das belegt eine Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung an der Universität Tübingen1.
IHK-Abschlüsse der Höheren Berufsbildung zahlen sich immer mehr aus
Die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) bestätigen ebenfalls: Die praxisnahe und berufsbegleitende Weiterbildung mit einem Abschluss der Höheren Berufsbildung zahlt sich für die Beschäftigten und Betriebe immer mehr aus. Nach einer deutschlandweiten DIHK-Umfrage unter 20.000 Absolventen verdienen rund 60 Prozent spätestens fünf Jahre nach ihrer IHK-Fortbildungsprüfung mehr Geld. In Thüringen sind es sogar 70 Prozent!
Inzwischen verfügen mehr als 2,5 Millionen Erwerbstätige in Deutschland über einen Abschluss der Höheren Berufsbildung. Allein im IHK-Bereich werden jährlich rund 60.000 Prüfungen abgenommen, davon über 1.300 an der IHK Erfurt.
Insbesondere die Abschlüsse Industriemeister Kunststoff/Kautschuk, Wirtschaftsfachwirte oder Betriebswirte werden an der IHK Erfurt sehr stark nachgefragt und von den regionalen Unternehmen gesucht. Die Abschlüsse liegen auf dem Niveau fünf, sechs und sieben des Deutschen Qualifikationsrahmens (DQR) und sind somit gleichwertig zum Bachelor und Master einer Hochschule.
Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR)
Die EU-Staaten haben unterschiedliche Bildungssysteme mit einer Fülle verschiedener Abschlüsse. Welche Kompetenzen ein europäischer Abschluss beinhaltet, ist häufig nur schwer zu ergründen. Deshalb wurde der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) beziehungsweise European Qualifications Framework (EQF) entwickelt. Er soll Transparenz über Landesgrenzen hinweg schaffen und damit die europaweite Mobilität von Arbeitnehmern fördern. In der Bundesrepublik Deutschland wurde hierzu der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) zur Einordnung der Qualifikationen des deutschen Bildungssystems eingeführt.
Der DQR im Überblick:
- Ausbildungsabschlüsse mit zweijähriger Ausbildungszeit sind dem DQR-Niveau 3 zugeordnet,
- Ausbildungsabschlüsse mit dreijähriger und dreieinhalbjähriger Ausbildungszeit dem Niveau 4,
- Abschlüsse der Höheren Berufsbildung wie Fachwirt und Meister sind dem Niveau 6,
- die Abschlüsse Betriebswirt, Technischer Betriebswirt, Berufspädagoge sowie die zwei Strategischen Professionals sind dem Niveau 7 zugeordnet. Damit befinden sich diese Abschlüsse auf denselben Stufen wie die Bachelor- bzw. Masterabschlüsse der Hochschulen. Dadurch wird zusätzlich die Gleichwertigkeit bestimmter beruflicher Abschlüsse mit akademischen Abschlüssen deutlich.
- auf DQR-Niveau 8 befindet sich die Promotion.
Die DQR-Niveaus:
Höhere Berufsbildung wirkt Fachkräftemangel entgegen
Die Höhere Berufsbildung ist ein Karrieregarant für Beschäftigte und ein immer wichtigerer Baustein für Unternehmen zur Fachkräftesicherung.
– Dr. Cornelia Haase-Lerch, Hauptgeschäftsführerin der IHK Erfurt
Die Berufliche Weiterbildung wird auch von den Absolventen selbst sehr positiv beurteilt: Danach berichten 81 Prozent von positiven Auswirkungen auf ihre berufliche Entwicklung. Aus einer Liste mit Mehrfachnennungen rangieren bei den Absolventen der IHK Erfurt:
- finanzielle Verbesserungen (60 Prozent),
- der Aufstieg in eine höhere Position oder
- einen größeren Aufgaben- und Verantwortungsbereich (57 Prozent) ganz oben.
Viele positive Effekte ergeben sich aber auch kurzfristig: 94 Prozent der Befragten betonen, dass sich die Weiterbildung positiv auf ihre persönliche Entwicklung ausgewirkt hat – der eigene Blickwinkel konnte sich erweitern oder Reflexionsvermögen und Verständnis wurden dazu gewonnen.
Auch für die Unternehmen bringt dieser Qualifizierungsweg viele Vorteile, erklärt Dr. Anne Röthig, Prokuristin der Ziola GmbH in Eisenach:
Die Mitarbeiter können so nach Bedarfen des Unternehmens weiter qualifiziert und fachspezifisch ausgebildet werden. Die Höhere Berufsbildung eröffnet vor allem karrierebewussten Mitarbeitern neue Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln – dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel kann so entgegengewirkt werden.
– Anne Röthig, Prokuristin der Ziola GmbH in Eisenach
Individualität und Praxisorientierung: Stärken der Höheren Berufsbildung
Positiv ist: Etwa 55 Prozent der Befragten der IHK Erfurt planen weitere Qualifizierungen und investieren damit in ihre persönliche Entwicklung. „Die Höhere Berufsbildung bietet den Absolventen eine individuelle Möglichkeit, bereits erworbene Fachkenntnisse und Fähigkeiten mit weiteren beruflichen Interessen zu erweitern. Für die Unternehmen am Markt eröffnet sich die Chance, praxisorientierte, motivierte und kompetente Fachkräfte zu gewinnen“, so Frank Belkner, Geschäftsführer der ERFURT Bildungszentrum gGmbH.
Die enge Anbindung an die Prozesse in den Unternehmen sei eine der entscheidenden Stärken der Höheren Berufsbildung, sagt auch Andreas Kecke, Geschäftsführer der Technischen Bildungsstätte Gotha GmbH: „Das bedeutet, dass sie sich auch an aktuelle Herausforderungen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Fachkräftemangel und Klimaschutz anpasst. Es ist deshalb wichtig, immer mehr Abschlüsse in den bewährten Verfahren zur Modernisierung von Fortbildungsordnungen neu auszurichten und die gesamte Bandbreite von Aus- und Fortbildungsabschlüssen der Beruflichen Bildung mit einzubeziehen.“
Wirtschaft fordert noch stärkeren Fokus auf berufliche Weiterbildung
Knapp die Hälfte (44 Prozent) der Fortbildungsabsolventen aus dem Kammerbezirk der IHK Erfurt hat nach eigenen Angaben in der Lernphase Aufstiegs-BAföG erhalten.
„Staatliche Unterstützung, wie das Aufstiegs-BaföG, ist zwar gut, jedoch verbesserungswürdig. Wichtig ist es zudem, die Vorteile der Höheren Berufsausbildung noch stärker in die Breite der Gesellschaft zu kommunizieren“, betont die Hauptgeschäftsführerin der IHK Erfurt, Dr. Cornelia Haase-Lerch und ergänzt: „Modernisierungen in der Höheren Berufsbildung sollten zudem zeitnah umgesetzt werden.“
Die neuen Abschlussbezeichnungen Bachelor und Master Professional gilt es daher zügig in die Öffentlichkeit zu tragen. Hier seien vor allem die Bildungs- und Sozialpartner in der Verantwortung.
Schon in der Phase der Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen müssen Schüler informiert werden, dass sie sich über eine duale Ausbildung und eine anschließende entsprechend praxisnahe Weiterbildung eine ebenso erfolgreiche Erwerbsbiografie erarbeiten können wie Akademiker auf dem gleichen Niveau.
– Kurt Vollmerhausen, Geschäftsführer der FSB Fortbildung-Sprache-Beratung GmbH aus Nordhausen
Wie erfolgreich eine berufliche Weiterbildung für das Unternehmen und auch den Absolventen seien kann, zeigt das Erfurter Steakhouse „Louisiana“!
Mit Weiterbildung gegen den Fachkräftemangel: Das Erfurter Steakhouse „Louisiana“ zeigt, wie es geht
Die kontinuierliche Wissenserweiterung, das sog. „Lebenslange Lernen” ist ein Schlüssel, um Fachkräfte zu entwickeln, langfristig an Firmen in der Region zu binden und dem Fachkräftemangel zu begegnen. Die Inhaber des Steakhouse „Louisiana“ aus Erfurt haben ihren Azubi auf dem Karriereweg zum „Geprüften Küchenmeister (IHK)“ unterstützt.
Ein Beispiel der erfolgreichen Weiterbildung!
Die Ergebnisse der DIHK-Studie kurz und knapp:
Grafiken zu den Ergebnissen der Weiterbildungsstudie aus dem Kammerbezirk der IHK Erfurt:
1 https://www.dihk.de/de/themen-und-positionen/fachkraefte/berufliche-weiterbildung-zahlt-sich-aus, letzter Zugriff: 06.06.2023