Sowohl für Unternehmen als auch für Auszubildende ist es eine entscheidende Frage, wenn es um die duale Ausbildung geht: Wo ist die nächste, passende Berufsschule in Thüringen? Kein Wunder also, dass es immer wieder Konflikte gibt, wenn das Berufsschulnetz angepasst werden muss. Immerhin wird damit darüber entschieden, wie weit es junge Menschen bis zur Berufsschule haben – was nach den Erfahrungen des Abteilungsleiters Aus- und Weiterbildung der IHK Erfurt, Thomas Fahlbusch, ein wichtiger Faktor ist, wenn sich potenzielle Lehrlinge grundsätzlich für oder gegen eine bestimmte Ausbildung entscheiden. Im Interview mit dem WiMa zeigt Thomas Fahlbusch einen Weg auf, wie sich derlei Konflikte entschärfen ließen.
Herr Fahlbusch, seit Jahren geistern Horrorgeschichten durch die Medien, die von Auszubildenden erzählen, die stundenlang durch Thüringen fahren müssen, um in ihre Berufsschule zu kommen. Sind das Einzelfälle oder kommt das inzwischen wirklich häufig vor?
Fahlbusch: Das sind zum Glück noch Ausnahmen, die aber in jedem Einzelfall natürlich trotzdem schwerwiegende Folgen haben können. Immer wieder kommt es in solchen Fällen nämlich vor, dass die Auszubildenden einen anderen Beruf wählen; einfach, weil ihnen der Berufsschulweg zu lang ist. Die jungen Leute wollen wohnortnah beschult werden. Meistens schauen sie sich deshalb weiter in ihrer Region um und wählen einen Berufsweg, bei dem die Berufsschule in der Nähe ist. Auch dann, wenn ihnen der Beruf, den sie eigentlich lernen wollten, vielleicht viel eher liegt oder das Unternehmen besser gepasst hätte.
Bei welchen Berufsbildern ist der Weg in die Berufsschule denn derzeit besonders lang?
Fahlbusch: Das hängt natürlich davon ab, wo jemand wohnt. Aber immer dann, wenn es für einen Beruf nur noch einen Berufsschulstandort in Thüringen gibt, sind die Wege für viele Auszubildende weit. Bei der Ausbildung zur Fachkraft für Lebensmitteltechnik ist die einzige Berufsschule beispielsweise in Suhl, bei der Ausbildung zum Kanalbauer in Gera. Das sind enorme Herausforderungen für manchen Jugendlichen, der sich sonst nur in der Nähe seines Wohnortes aufhält.
Wenn Sie auf die Berufsschullandschaft im Kammerbezirk insgesamt schauen, was würden Sie sagen: Ist die intakt?
Fahlbusch: Mit dem derzeitigen Netz werden wir bis 2028 arbeiten. Die Wünsche und Anforderungen aller Beteiligter können sicher nicht erfüllt werden. Es ist ein Kompromiss, der aktuell von vielen Seiten getragen wird.
Und wie geht es nach 2028 weiter?
Fahlbusch: Das kann ich Ihnen noch nicht genau sagen, denn hier müssen die Gebietskörperschaften einen Vorschlag vorlegen. Immerhin gibt es inzwischen erste Überlegungen zur künftigen Struktur, denn die Planungssicherheit für Unternehmen ist wichtig für ein langfristiges Ausbildungsengagement der Betriebe. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit wissen wir, dass es sehr lange dauert, bis so ein Berufsschulnetz steht; einfach, weil sehr viele lokale Anforderungen und Vorstellungen zu beachten sind. Eigentlich wollen alle Landräte und Oberbürgermeister das, was sie an Berufsschul-Angeboten bei sich vor Ort haben, erhalten. Das kann aber durch die demographische Entwicklung, die auch das Lehrpersonal trifft, nicht funktionieren. Fast noch wichtiger als die Frage, wo ein Beruf ausgebildet wird, ist ohnehin – sowohl für die Unternehmen als auch für die Auszubildenden – Planungssicherheit.
Warum?
Fahlbusch: An vielen Standorten wird mit sogenannten Optionsklassen gearbeitet. Das heißt, eine Klasse wird nur dann gebildet, wenn es dafür genügend Schüler gibt. Das bedeutet aber im Umkehrschluss, dass die jungen Menschen und die Unternehmen in der Regel erst kurz vor dem Beginn eines Ausbildungsjahres erfahren, wo ihr Berufsschulstandort letztlich sein wird. Ist der Weg dann zu weit, kann es sein, dass der Auszubildende abbricht. Das ist natürlich kein verlässlicher Zustand.
Wie könnte eine Lösung für dieses Problem aussehen?
Fahlbusch: Wir brauchen Schwerpunktschulen, die sich für eine ganze Region stark machen, indem sie für bestimmte Berufe zuverlässig als Berufsschulstandorte für einen größeren Einzugsbereich zur Verfügung stehen. Natürlich mit so kurzen Wegen wie möglich, aber eben als zentrale Standorte – und ich meine nicht nur Standorte an der A4 – für einen bestimmten Raum. Es muss allen klar sein, dass nicht jede Berufsschule alle Berufe anbieten kann.
Sie fordern also mehr Weitsicht von den vielen kleinen, kommunalen Fürsten in diesem Freistaat?
Fahlbusch: Es gibt schon einzelne positive Beispiele dafür, wie Landkreise sinnvoll zusammenarbeiten. Daran müssen wir uns orientieren. Es gibt auch eigentlich keine Alternative dazu. Denn wenn jede Gebietskörperschaft auf ihrer Position beharrt und kein Kompromiss geeint wird, entscheidet letztendlich das Bildungsministerium irgendwann in Erfurt. Deshalb sollten alle Beteiligten kompromissbereit sein und bleiben.
Fachkräfte für die Region gewinnen, halten und entwickeln
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist die duale Ausbildung junger Menschen zu qualifizierten Fachkräften von zunehmender Bedeutung. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Erfurt unterstützt Unternehmen auf dem Weg zum Ausbildungsbetrieb sowie während der Ausbildung und bei der Anwerbung von Auszubildenden.
Erfahren Sie mehr über die Anliegen und die Strategie der IHK Erfurt:
Interview: Sebastian Haak