Ein Tag in der Praxis: So lassen sich Schüler für eine Ausbildung begeistern

©arifoto/Micheal Reichel/Nico Geiß (r), Ausbildungsleiter bei ModellTechnik Rapid Prototyping GmbH, spricht mit dem Auszubildenden Florian Wallenta. Geiß macht Erfahrungen mit neuen Ansätzen zur Gewinnung von Auszubildenden.
Warum sollte ich diesen Artikel lesen?

  • Der Fachkräftemangel beginnt bereits in der Ausbildung, denn es wird immer schwerer, junge Menschen zu einer Ausbildung zu bewegen.
  • Gewusst wie: Interaktive Berufsorientierung kann Jugendliche für eine Ausbildung begeistern
  • Erfahren Sie, wie die Praxiskoordinatoren dabei helfen, Ausbildungsplätze zu füllen.

Bei der Suche nach Nachwuchs reicht es in vielen Unternehmen schon lange nicht mehr, auf die Bewerbungen junger Menschen zu warten. Wie Personaler und Ausbilder sie für einen Beruf bei sich im Haus begeistern können, ist aber oft noch immer ein großes Rätsel. Vielleicht auch deshalb motivieren die Praxiskoordinatoren bei der Berufsorientierung mancherorts inzwischen dazu, mit Rätseln zu experimentieren – was zu bemerkenswerten Erkenntnissen führt.

Ein erfolgreicher Tag in der Praxis

Wie groß der Erfolg dieses Tages war, das kann Nico Geiss inzwischen ziemlich gut in Zahlen fassen. Sechs oder sieben der insgesamt etwa vierzig Schüler, die vor einigen Wochen bei ihm zu Gast waren, hätten sich inzwischen wieder bei ihm gemeldet und nach einem Praktikum bei der ModellTechnik Rapid Prototyping GmbH in Waltershausen gefragt, sagt Geiss. Dort arbeitet er als Ausbildungsleiter. „Das ist schon ein ordentlicher Rücklauf.“ Das Konzept dieses Tages habe offenbar funktioniert. „Die Idee war, dass die Schüler nicht einfach stur hier durchlaufen.“

Statt einfach nur zu laufen, dazustehen und zuzuhören, haben die Jugendlichen vor Kurzem deshalb einen interaktiven Tag in den beiden Unternehmen ModellTechnik GmbH und HAKO GmbH erleben dürfen. Bei Nico Geiss konnte in den verschiedenen Abteilungen des Unternehmens gerätselt werden. Zunächst in zwei Gruppen aufgeteilt und zuletzt gemeinsam als Team mussten die Neuntklässler mehrere kleine Rätsel lösen, woraus sich dann eine Zahlen- und Buchstabenkombination ergab. Über diesen Code konnten sie schließlich einen verschlossenen Koffer öffnen, der als kleines Geschenk für jeden von ihnen eine Powerbank enthielt.

Alle Rätsel dieses Spiels hatten einen Bezug zum Unternehmen und den Ausbildungsberufen. Zum Beispiel mussten die Schüler die Frage richtig beantworten, in welchem Beruf sich ganz viel um die Wartung und Instandhaltung von Werkzeugen dreht. Spoiler: Die zur Auswahl stehende Antwort „Lagerlogistiker“ war falsch. Aus der richtigen Antwort ergab sich dann der richtige Zahlencode.

Kein Abschalten nach der zweiten Abteilung

Eine der zentralen Erkenntnisse von Nico Geiss dazu ist, dass Mitmachen und Aktivsein für den potenziellen Nachwuchs ganz wichtig sind; selbst bei nur relativ kurzen Vor-Ort-Terminen in Unternehmen. Anders ausgedrückt: Jugendlichen ausschließlich eine Produktionsstrecke und vielleicht noch einen Imagefilm zu zeigen, reicht schon seit Jahren nicht mehr, auch wenn es immer noch Unternehmen gibt, die versuchen, sich gegenüber Jugendlichen genau so zu verkaufen. Oder, in den Worten von Julia Dombrowsky, die bei der IHK Erfurt als Projektleitung der Praxiskoordinatoren arbeitet: „Das klassische Durchs-Unternehmen-Gehen reicht für Jugendliche nicht mehr aus – die schalten spätestens nach der zweiten Abteilung ab. Man sollte sich als Unternehmen die Frage stellen: Wie kann ich jemanden für das, was wir täglich leisten, begeistern?“

Ungemein kompliziert muss dieses Mitmachen oder Aktivsein dabei aber gar nicht werden. Dominik Schwabe, der bei der ebenfalls in Waltershausen ansässigen HAKO GmbH als Ausbildungsleiter tätig ist, hat die Schüler, die bei Nico Geiss gerätselt haben, deshalb auf seinem Firmengelände Fahrzeiten schätzen lassen. Oder wissen Sie vielleicht, wie schnell ein E-Multicar von der HAKO GmbH ist? Spoiler: Sehr schnell, was einer der Jugendlichen bis auf die Sekunde vorhersagen konnte.

Ein Erfolg war dieser Tag aber nicht nur für ModellTechnik und HAKO, sondern für alle, die sich seit Langem Gedanken darüber machen, mit welchen Methoden und auf welchen Wegen sich junge Menschen heute für Ausbildungsberufe begeistern lassen. Denn obwohl seit Jahren klar ist, dass es für Unternehmen nicht mehr reicht, einfach darauf zu warten, dass sich Schüler schon bei ihnen bewerben werden, um dort eine Ausbildung zu absolvieren, ist die Frage, wie die Generation Z denn zu erreichen ist – für viele Personaler und Ausbilder nach wie vor das, was an dem Tag gelöst werden musste: ein Rätsel.

Kontakte über Schulen: Inzwischen der klassische Weg

Das Programm der Schüler an diesem Tag in der kleinen Stadt Waltershausen in Mittelthüringen hatten die beiden Unternehmen und die IHK Erfurt gemeinsam organisiert – in enger Abstimmung mit der Schule der 14- und 15-Jährigen, der Regelschule „Helene Lange“ in Friedrichroda.

Dass diese Zusammenarbeit auch in diesem konkreten Fall gut funktioniert hat, bestärkt sowohl Nico Geiss als auch Dominik Schwabe in einer Erfahrung, die sie öfter machen – und die deshalb ebenfalls als zentrale Erkenntnis aus diesem Tag gelten darf: Am nachhaltigsten, am effektivsten kommen Unternehmen heute über die Schulen an potenzielle Auszubildende heran. „Das hat sich in den vergangenen Jahren zum klassischen Weg entwickelt“, sagt Dominik Schwabe. Aus der Berufsorientierung an Schulen entstünden inzwischen oft Praktika, die wiederum regelmäßig in Ausbildungsverträge mündeten. „In den vergangenen fünf, sechs Jahren haben wir fast die Hälfte der Stellen bei uns mit ehemaligen Praktikanten besetzt“, sagt Dominik Schwabe.

Besonders hilfreich sind hier die Praxiskoordinatoren, die nicht nur Praxisplätze an Schüler vermitteln, sondern auch direkte Kontakte zwischen engagierten Lehrkräften und interessierten Unternehmen herstellen können. Gemeinsam konnte so auch der oben beschriebene Projekttag „3D-Druck und Elektromobilität“ in den beiden Unternehmen realisiert werden. „Hierbei ist es auch schön zu sehen, dass es funktioniert, wenn Unternehmen zusammenarbeiten und gemeinsam für die Region eine interaktive Berufsorientierung für Jugendliche ermöglichen“, merkt Julia Dombrowsky an. Doch dabei ist auch entscheidend, wie sehr sich Pädagogen für die Berufsorientierung ihrer Schüler interessieren. „Am Ende steht und fällt das mit dem Lehrer. Und die Lehrer, die ich kenne, die machen das wirklich total engagiert“, sagt Dominik Schwabe.

Auf dem Land wird anders gedacht

Nach Einschätzung der beiden Ausbildungsleiter sind Schulen als Pfad der Kontaktaufnahme zu jungen Menschen inzwischen – oder: noch immer? – sogar wichtiger als Soziale Medien wie Facebook, Instagram oder TikTok. Wenn er junge Menschen fragt, wie sie auf ModellTechnik – wo unter anderem an Prototypen-Teilen für namenhafte Automobilkonzerne gearbeitet wird – aufmerksam geworden sind, sagten die allerwenigsten von ihnen, sie hätten die verschiedenen Auftritte des Unternehmens im Internet besucht, sagt Nico Geiss. „Na klar gucken die Jugendlichen ganz viel auf ihr Handy. Aber im Internet sind sie woanders unterwegs, nicht auf unseren Seiten.“

Dominik Schwabe formuliert das ähnlich. Vielleicht, sagt er, ticke die Generation Z in den Großstädten wirklich so, wie sie unter anderem von Soziologen regelmäßig beschrieben wird: total digital und immer online, sehr auf ihre Freizeit bedacht und deutlich weniger leistungsbereit als früher. Doch in dem ländlichen Raum, in dem auch Waltershausen liegt, sei die Realität oft eine andere. „Viele Jugendliche hier sind in ihrem Denken noch viel analoger, als man sich das vorstellt.“ Auch die Prägung durch das Elternhaus spiele in der Region bei vielen jungen Menschen noch immer eine große Rolle.

Für viele Unternehmen, in denen kaum Personal, Zeit und Geld da ist, um viele Ressourcen in die Betreuung ihrer Social-Media-Accounts zu stecken, ist das eine ermutigende Erkenntnis nach diesem Tag.

Auf Augenhöhe, bitte!

Ganz wichtig in der Kommunikation und dem Umgang mit potenziellen Auszubildenden ist inzwischen auch, dass mit Azubis auf Augenhöhe kommuniziert wird. „Die Vorstellung, dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind – das kann heute nicht mehr so sein“, sagt Dominik Schwabe. Jungen Menschen Wertschätzung und Respekt gegenüber zu bringen, müsse dabei schon im Praktikum beginnen, sagt Nico Geiss. Ein Praktikant dürfe nicht dazu ausgenutzt werden, den ganzen Tag den Hof zu kehren.

Neben Geiss und Schwabe sagt auch die Leitung der Praxiskoordinatoren der IHK Erfurt, Julia Dombrowsky: „Damit ein Praktikum möglichst erfolgreich verlaufe, ist es wichtig, dass es neben einer festen Ansprechperson auch ein Konzept im Unternehmen gibt, damit dem Praktikanten auch praxisnahe Einblicke ermöglicht werden können, ohne die täglichen Arbeitsprozesse massiv zu beeinflussen.“

Mehr über die Praxiskoordinatoren erfahren Sie hier:

Förderer:

Text: Sebastian Haak

Kontaktieren
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IHK-Experten:
Julia Dombrowsky

Julia Dombrowsky

Tel: 0361-3484271

E-Mail: dombrowsky@erfurt.ihk.de

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