In hunderten Thüringer Unternehmen wird für die Chefsessel ein Nachfolger oder eine Nachfolgerin gesucht. Jedes Jahr. Solche Unternehmensübergänge brauchen in aller Regel vor allem eins: Zeit, auch wenn es manchmal sehr schnell gehen kann. Ohne Beratung aber werden weder gemächliche noch schnelle Übergänge kaum gelingen.
Die Leidenschaft zum Beruf machen
Wenn man hört, wie Ailin Langenberg über Frauen in Brautkleidern spricht, dann wundert man sich nicht darüber, dass sie es zu Ostern gar nicht mehr ausgehalten hat. Denn am Samstag des diesjährigen Osterfestes hatte eine Freundin ihr einen Post aus einem sozialen Netzwerk geschickt, mit dem eine Frau ihre Brautmoden-Boutique zur Übernahme anbot. „Das war meine Chance, die musste ich wahrnehmen“, sagt Langenberg im Rückblick. Also nahm sie sofort Kontakt zu der damaligen Inhaberin auf – mit dem Vorschlag, sie könnte sich die Räumlichkeiten der Boutique so schnell wie möglich anschauen. „Ich war ganz frech und habe gesagt: Am Sonntag könnte ich auch schon.“ Ganz so schnell ging es dann nicht, aber doch noch immer mit Beinahe-Lichtgeschwindigkeit: Schon am Ostermontag 2024 stand sie zu einer Besichtigung in den Räumen, in denen sie seit Sommer ihre eigene Chefin ist. Am 13. Juli empfing Langenberg hier „meine erste Braut“.
Für Langenberg ist damit ein Lebenstraum in Erfüllung gegangen, auch wenn sie in den ersten Monaten Selbstständigkeit bereits erlebt hat, dass vieles, was bei einer Unternehmensübergabe am Anfang kalkulierbar und erwartbar aussieht, längst nicht immer kalkulierbar und erwartbar ist, dass bei einer Selbstständigkeit ständige neue Herausforderungen auftauchen. Hochzeiten und Brautmoden, sagt sie, das sei „eine Leidenschaft von mir; ich liebe das“. Das sei für sie schon zu den Zeiten klar gewesen, da sie noch erst als Friseurin und später als Stylistin gearbeitet hatte.
Übernahme ja, Gründung nein
Mehr als zwanzig Jahre lang war Langenberg Angestellte gewesen, während immer mehr und mehr der Wunsch in ihr reifte, sich auf eigene wirtschaftliche Füßen zu stellen, indem sie ein schon bestehendes, kleines Unternehmen übernimmt. Dieser Weg, sagt sie, sei für sie der einzige gangbare in die Selbstständigkeit gewesen.
„Ich hätte mich nie von Grund auf selbstständig gemacht, da wäre ich Angestellte geblieben“, sagt Langenberg. Dass es diese Boutique schon vor ihrer Übernahme mehrere Jahre gab, dass der Name des in Erfurt angesiedelten Geschäfts „Lieben.Tanzen.Lachen.“ in der Region bereits einen guten Ruf hat, dass es schon Partnerschaften unter anderem mit Lieferanten gab, all das (und Anderes mehr) habe ihr beim Start in die Selbstständigkeit ein Grundvertrauen in den möglichen Erfolg gegeben, das sie unbedingt gebraucht habe, sagt Langenberg.
Ich habe diese Boutique übernommen, weil sie im Grund schon fertig war.
– Ailin Langenberg, Inhaberin der Brautmoden-Boutique „Lieben.Tanzen.Lachen.“
Viele Menschen, die sich mehr oder weniger konkret vorstellen können, ein Unternehmen zu übernehmen, haben solche Gedanken aus solchen Motiven heraus. Denn obwohl es natürlich auch Einschränkungen in den eigenen Gestaltungsmöglichkeiten mit sich bringt, ein schon bestehendes Unternehmen zu übernehmen, ist zumindest der Einstieg in das wirtschaftlich selbstständige Arbeiten bei einer Unternehmensübernahme oft einfacher als bei einer Unternehmensneugründung.
Die Käufer haben die Wahl
Weder das eine noch das andere allerdings sollte man ohne fachkundige Beratung tun, was sowohl für diejenigen gilt, die ein schon bestehendes Unternehmen übernehmen wollen, als auch für diejenigen, die ihr Unternehmen an einen Nachfolger verkaufen wollen. Vor allem die Zahl Letzterer ist zuletzt deutlich gestiegen und angesichts des demografischen Wandels wird sie in den nächsten Jahren noch weiter steigen. Alleine in Thüringen stehen in den nächsten Jahren etwa 760 Unternehmensnachfolgen jährlich an, wie aus Daten des Instituts für Mittelstandsforschung aus Bonn hervorgeht, das dazu 2021 eine Studie vorgelegt hatte. Danach fallen zwischen 2022 und 2026 insgesamt etwa 3.800 Unternehmensnachfolgen im Freistaat an.
Diese große Zahl an Unternehmen, bei denen der Chefsessel auf absehbare Zeit neu besetzt werden muss, macht kompetente Unterstützung freilich umso wichtiger, die nach den Erfahrungen unter anderem des Thüringer Wirtschaftsministeriums bei einer ganz einfachen Wahrheit anfangen muss: Viele Verkäufer von Unternehmen würden die Marktlage verkennen, sagt ein Sprecher des Ministeriums. „Gegenwärtig befinden wir uns auf einem Käufermarkt, auf dem viele übergabewillige Unternehmer um wenige verfügbare Nachfolger konkurrieren.“ Deshalb könnten sich viele Eigentümer eines Unternehmens eigentlich nicht ihren Nachfolger aussuchen, sondern die potenziellen Nachfolger könnten sich das Unternehmen auswählen, das zu ihnen und ihren Vorstellungen passe.
Jahre statt Monate: Unternehmensnachfolge dauert
Dazu komme, sagt der Sprecher des Ministeriums, dass viele Unternehmer oft viel zu spät damit beginnen würden, sich um die Suche nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin zu kümmern. Es reiche nicht aus, sich zwei Monate vor einem geplanten Übergabetermin zu all den Fragen beraten zu lassen, die damit in Zusammenhang stehen.
Exakt die gleiche Mahnung spricht auch Mandy Zirk aus, die bei der IHK Erfurt Menschen berät, die ein Unternehmen übernehmen oder übergeben wollen. Dass es Langenberg gelungen sei, innerhalb nur weniger Monate von der Erstkontaktaufnahme bis zur abgeschlossenen Übernahme zu kommen, sei eine große und seltene Ausnahme, auch wenn viele andere Dinge auch bei Langenberg so gelaufen sind, wie sie immer wieder in solchen Fällen laufen.
In den allermeisten Fällen dauere es Jahre, um einen erfolgreichen Unternehmensübergang zu organisieren, sagt Zirk. „Dafür sollte man sich in der Regel zwei bis fünf Jahre Zeit nehmen.“ Wenn also zum Beispiel Inhaber von Unternehmen ein paar Monate vor ihrem geplanten Ruhestand das erste Mal zu einer Beratungssitzung kämen, „dann ist das natürlich viel zu spät“, sagt Zirk. Immer wieder kämen aber genauso Fälle vor, auch wenn es inzwischen ein wachsendes Bewusstsein dafür gebe, dass der Verkauf eines Unternehmens gut vorbereitet werden will und dabei sehr viele Details zu klären sind – auch solche, an die oft weder der potenzielle Käufer noch der potenzielle Verkäufer sofort denken.
Dazu kann nach den Erfahrungen Zirks auch gehören, in manchen Unternehmen noch Dinge zu verändern, damit sie für eine Übernahme noch mehr oder überhaupt interessant werden. Stichwort, zum Beispiel Digitalisierung. Gerade in Zeiten, in denen viele potenzielle Käufer mit dem Smartphone und dem Internet aufgewachsen seien, sei es für Verkaufswillige eine Möglichkeit, ihr Unternehmen für Käufer „noch attraktiver“ – O-Ton Zirk – zu machen, indem zum Beispiel Produktionsprozesse digitaler gestaltet werden, als sie es unter den derzeitigen Chefs vielleicht sind, die oft noch zu einer Generation gehören, die schon ohne Tablets und vernetzte Kaffeemaschinen gut leben konnte.
Welle runter, Welle hoch
Zu den Dingen, die bei Langenbergs Übernahmen der Boutique ziemlich typisch für solche Geschäfte gelaufen sind, gehört ganz sicher, dass sie auch nach der Unterschrift der nötigen Verträge noch Fragen hatte; und sogar eine kurze Zeit lang daran gezweifelt hat, ob ihre Entscheidung richtig war; eben weil eine Selbstständigkeit nicht nur vor und nach einer Geschäftsübernahme mit vielen Unwägbarkeiten verbunden ist, sondern auch danach.
Es habe eine Zeit gegeben, sagt Langenberg, „da habe ich mich schon gefragt, was ich hier eigentlich mir und meiner Familie angetan habe“. Als sie gemerkt habe, wie intensiv sie sich als Selbstständige mit Steuern beschäftigen müsse, sei sie ziemlich erschrocken. „Das ist überhaupt nicht mein, ich will doch eigentlich nur verkaufen“, sagt sie. Ein paar Tage lange habe sie sich auf „einer Welle nach unten“ befunden, sagt sie.
Wie schon vor und während der Übernahme habe sie sich dann auch in dieser eher dunklen Phase Beratung und Unterstützung geholt, bei der für sie zuständigen Industrie- und Handelskammer Erfurt und beim ThEx, dem Thüringer Zentrum für Existenzgründungen und Unternehmertum. Diese Hilfe und der stete Zuspruch durch ihren Mann und ihre Familie hätten ihr geholfen, „die Welle umzukehren“.
Und so blickt Langenberg heute noch stolz auf die Zeit mit ihrer ersten Braut zurück. „Ich war total aufgeregt“, sagt Langenberg. „Aber es war total schön. Ich kann das alles eigentlich immer noch nicht glauben…“
Text: Sebastian Haak